Sehnsucht nach Owitambe
auch noch seine linke Hand dabei eingebüßt. »Schlimm ist nur, dass sie jetzt überall Freiwillige suchen, die sich diesem Krieg anschließen. Wie ich gehört habe, wollen Nachtmahr und sein Sohn auch mit von der Partie sein.«
Jella winkte abfällig mit der Hand.
»Das sieht diesem widerlichen Schuft ähnlich! Sicherlich wird er die Gelegenheit nutzen, um den Herero noch ein Stück von ihrem Land abzuluchsen, wenn es ihm schon bei uns nicht gelungen ist.« Sie lächelte triumphierend in die Runde. Vor ein paar Tagen hatte sie eine Depesche aus Windhuk erreicht. Darin war ihnen mitgeteilt worden, dass nach eingehender Überprüfung
kein Zweifel daran bestünde, dass die Nagelquelle zu Owitambe und nicht zu Nachtmahrs Hakoma gehöre. Das würde ihren Vater bestimmt erleichtern. Nur schade, dass er erst nach seiner Rückkehr davon erfahren würde. Knorr, der von den Streitereien um die Quelle ebenfalls gehört hatte, freute sich mit ihnen.
»Dieser Nachtmahr ist ein ganz ungehobelter Mensch«, bestätigte er. »Ich habe ihn und einige seiner Männer noch vor wenigen Stunden ganz in der Nähe angetroffen. Wie es Sitte und Anstand gebieten, habe ich die Herrschaften freundlich gegrüßt. Aber dieser Baron hielt sich offensichtlich für etwas Besseres. Er hat mich nicht einmal eines Blickes gewürdigt. Im Gegenteil, mir schien, es war ihm sogar peinlich, mich zu sehen.«
»Peinlich?« Jella zog amüsiert die Nase kraus. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie einem Menschen der Anblick von Alfred Knorr mit seiner dicken Brille und dem ebenso opulenten Schnurrbart peinlich sein konnte.
»Nun«, Knorr schniefte wichtigtuerisch, wobei er seine Stimme senkte, »ich glaube, sie wollten nicht, dass ich sehe, was sie tun.«
Fritz horchte auf.
»Was soll das bedeuten?«, hakte er nach.
»Ich vermute, dass sie auf der Jagd waren. Die Männer waren bewaffnet und führten einen beladenen Wagen mit sich. Immerhin waren sie schon auf dem Gebiet von Owitambe.«
»Verdammt! Jetzt treibt Nachtmahr es zu weit!«
Fritz sprang auf. »Wenn ich den auf unserem Gebiet in die Finger bekommen, dann gnade ihm Gott. Mit seiner sinnlosen Großwildjägerei schafft er es noch, dass wir hier bald keine Wildtiere mehr haben. Ich muss sofort losreiten!«
Jella hielt ihn auf.
»Nachtmahr ist nicht dumm. Er wird nicht bei helllichtem Tag auf unserem Grund auf Jagd gehen. Bestimmt hat sich
Alfred Knorr getäuscht.« Knorr wollte widersprechen, aber sie gebot ihm mit einer Handbewegung Einhalt. Sie hatte jetzt wirklich keine Lust auf erneute Streitigkeiten. Vor allem wollte sie verhindern, dass Fritz wegen dieser Bemerkung ihren gemeinsamen Ausflug vergaß. Schließlich hatten sie sich vorgenommen, diesen Abend gemeinsam an ihrem neuen Lieblingsort auf dem Felsplateau zu verbringen. Fritz hatte frische Elefantenspuren entdeckt und war guter Dinge, dass sie dieses Mal die Gruppe zu Gesicht bekämen.
»Johannes …«
Sarahs Stimme ließ ihn aus seiner unbequemen Haltung aufschrecken. Er musste für einen Augenblick eingeschlafen sein. Für einen Augenblick war er verwirrt. Neben ihm flackerte die Petroleumlampe, und draußen war noch tiefe Nacht. Sarah sah ihn aus tief liegenden, dunklen Augen an. Sie war immer noch bleich und ausgezehrt, aber das kranke Grau in ihrer Gesichtsfarbe war etwas gemildert.
»Meine liebe, liebe Sarah!« Johannes kämpfte erneut mit den Tränen. Doch dieses Mal waren es Tränen der Erleichterung.
»Mir geht besser«, versicherte ihm seine Frau. Ihre Stimme klang erstaunlich kräftig. »Ich muss dir eine Geschichte erzählen.«
»Eine Geschichte? Hat das nicht Zeit, bis du wieder bei Kräften bist?«
Sarah schüttelte energisch den Kopf.
»Nein, es muss jetzt sein«, antwortete sie bestimmt. »Die Geister können zurückkehren und mich hindern. Du musst jetzt erfahren, was mich krank gemacht hat.«
Johannes verstand nicht, worauf sie hinauswollte. Sein Blick schweifte zu ihrem gemeinsamen Sohn, der eingerollt auf seinem unbequemen Lager auf dem Fußboden lag. Sein Gesicht
war völlig entspannt, und sein Atem hob und senkte sich gleichmäßig. Sarah sah es ebenfalls und lächelte zum ersten Mal seit vielen Tagen. Dann begann sie zu erzählen.
»Es ist Geschichte von einer jungen Frau meines Stammes. Ihr Name war Vengape.« Sie machte eine kurze Pause, in der sie tief Luft holte. »Vengape war eine glückliche Frau, denn sie hatte einen kräftigen Mann und zwei kleine Kinder. Einen Jungen
Weitere Kostenlose Bücher