Sehnsucht nach Owitambe
kleinen Kinder tot, dein Mann ebenfalls; alle grausam getötet. Wir haben sie begraben. Aber du, du warst nicht da. Wir haben überall gesucht. Es war so schrecklich.«
Sarah biss sich auf die Lippe.
»Ja, das war es!«
Es fiel ihr immer noch schwer, sich an das schreckliche Ereignis zu erinnern, aber seit sie Johannes alles erzählt hatte, brauchte sie die schreckliche Bürde nicht mehr allein zu tragen.
»Wer ist der Älteste in der Onganda?«, erkundigte sie sich.
Komiho lächelte. »Es ist immer noch dein Vater Venomeho.«
»Und Tjiveri, meine Mutter?«
Komiho schüttelte bedauernd den Kopf. »Sie ist im letzten Winter von uns gegangen. Sie war krank und hat Blut gehustet.«
Sarah nickte nur. Ihre Mutter hatte ihr nie besonders nahegestanden. Sie hatte nie Zeit für sie gehabt, weil sie ein Kind nach dem anderen geboren hatte. Deshalb war sie schon früh zu der kinderlosen Komiho gezogen, die sie wie eine Tochter behandelt hatte. Trotzdem war sie traurig. Sie hätte ihrer Mutter so gern Raffael gezeigt.
Komiho schickte unterdessen einen kleinen Jungen los, um Venomeho zu holen. Dann bat sie Sarah in den Kraal. Sie kroch
in ihre Hütte und kam mit einer Kalebasse voll saurer Milch heraus.
»Das ist für dich«, meinte sie lachend. »Trink und stärk dich von der langen Reise. Und dann musst du mir erzählen, wie es dir ergangen ist.«
Sarah setzte sich neben der alten Komiho auf den Boden und trank.
Wenig später kamen Venomeho und ein paar junge Männer von den Weiden zurück. Die Nachricht von dem plötzlichen Auftauchen Vengapes hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Beim Anblick seiner tot geglaubten Tochter erstarrte Venomeho zur Salzsäule. Genau wie Komiho glaubte er einen Geist vor sich zu haben. Aber dann sah Vengape ihn mit einem scheuen Lächeln an und ging langsam auf ihn zu. Venomeho begann zu zittern und ungläubig seinen Kopf zu schütteln. Als seine Tochter unmittelbar vor ihm stand, packte er sie und drückte sie fest an sich. Eng umschlungen blieben die beiden stehen und bemerkten gar nicht, wie sich immer mehr Menschen aus den umliegenden Ongandas versammelten. Jeder wollte sich vergewissern, dass es wirklich Vengape war, die von den Toten zu ihnen zurückgekehrt war. Ungläubiges Gemurmel, Freudenrufe, Getuschel erfüllten den Kraal. Jeder wollte Vengape berühren. Das brachte Glück, von dem jeder ein wenig abhaben wollte. Sarah kannte viele der Dorfbewohner. Sie war mit ihnen aufgewachsen. Da waren Tanten und Onkel, Cousinen und Cousins, Neffen und Nichten. Auch eine Schwester und zwei ihrer Brüder kamen aus ihren eigenen Ongandas, um sie zu begrüßen. Sie redeten alle durcheinander, berührten Sarahs Arme und überhäuften sie mit Fragen und guten Wünschen. Gerührt nahm Sarah all die Segenswünsche entgegen, die sie von ihrer Familie bekam. Sie empfand sie wie wohltuenden Balsam, der ihr zusätzlich half, über die schlimme Vergangenheit hinwegzukommen. Venomeho beschloss, eine Zeremonie
abzuhalten und zu Ehren der Ahnen eine Kuh zu schlachten. Er selbst suchte ein wertvolles Tier aus, während Sarah seine Herde bewundern musste. So verging viel Zeit, bevor sie die Gelegenheit bekam, von ihrer neuen Familie zu erzählen. Als Venomeho erfuhr, dass seine Tochter einen weißen Mann geheiratet hatte, verwandelte sich seine Wiedersehensfreude in Wut und Empörung.
»Wie kannst du deinem Vater das antun?«, fuhr er sie an. »Die weißen Männer tun nichts Gutes. Sie zerstören unsere Traditionen. Sie passen nicht in unser Leben. Er wird dich unglücklich machen! Du wirst ihn fortschicken.«
Sarah hatte mit einer ähnlichen Reaktion gerechnet. Ehen wurden in ihrem Volk nicht aus Liebe geschlossen, sondern um den Reichtum der Familie zu vergrößern. Deshalb hatte sie Johannes auch überredet, einige seiner besten Zuchtstiere als Geschenk mitzunehmen. Damit hoffte sie, ihren Vater milde zu stimmen.
»Johannes ist ein guter Mann. Er ist ein großer Magier. Ohne ihn würde ich nicht mehr leben. Er hat den bösen Zauber, der auf mir lag, weggenommen.«
»Sicher hat er nichts zu bieten!«, knurrte Venomeho verächtlich. »Die Weißen nehmen nur. Sie verstehen nichts von Tieren!«
Sarah widersprach ihm freundlich, aber bestimmt.
»Er ist sehr wohlhabend. Er hat viele Rinder. Er hat so viele Tiere, dass er dir einige schenken will.«
Venomeho horchte auf.
»Will er so leben wie wir?«, fragte er immer noch misstrauisch. Sein Widerstand begann in Erwartung des großzügigen
Weitere Kostenlose Bücher