Sehnsucht nach Owitambe
sein, denn er vermied es, Fritz in die Augen zu schauen.
»Das ist doch Unsinn!«, mischte sich nun Jella ein. »Leben wir hier denn nicht friedlich alle miteinander? Mein Vater beutet euch nicht aus. Im Gegenteil, er beteiligt euch an seinem Gewinn. Das wird auch in Zukunft so sein. Auch wenn die anderen Farmer das vielleicht anders sehen.«
Waravi sah Jella einen Moment lang in die Augen, um sich dann demonstrativ von ihr abzuwenden. Doch es war nicht Jellas Art, sich so einfach abspeisen zu lassen.
»Möchte Nancy denn überhaupt mit euch gehen?«, hakte sie nach. »Wo ist sie überhaupt?« Jella sah sich um. In diesem Augenblick trat die Haushälterin aus dem Hintereingang des Farmhauses, wo sich auch ihr Zimmer befand. In ihrer Begleitung befand sich ein ebenfalls bewaffneter Mann, der ihre wenigen Habseligkeiten trug. Nancys Gesicht war ganz aufgequollen vor Tränen. Als sie Jella erblickte, fing sie gleich wieder an zu heulen.
»O Jesus, Jesus, Jesus«, jammerte sie. »Was sind das nur für Zeiten!« Sie wackelte auf Jella zu und ergriff ihre Hände. »Du warst so gute Herrin«, stammelte sie aufgewühlt. »Ich werde dich nie vergessen. Ich werde euch alle nicht vergessen!«
Jella sah die gutmütige Haushälterin, die sie so sehr ins Herz geschlossen hatte, ungläubig an.
»Das ist nicht dein Ernst«, meinte sie erschrocken. »Niemand kann dich zwingen, von hier wegzugehen. Kehr sofort wieder um und pack deine Sachen aus!«
Nancy schüttelte den Kopf. »Das geht nicht«, meinte sie bekümmert. »Mein Volk zieht weg von hier.«
»Aber du kannst uns doch nicht einfach so im Stich lassen! Unser Baby kommt bald auf die Welt. Wie soll ich denn allein … Außerdem bist du meine Freundin!« Jella wollte sich einfach nicht damit abfinden. Sie würde alles versuchen, um Nancy zurückzuhalten.
»Überall ist Kampf«, schluchzte Nancy verzweifelt. »Die Soldaten nehmen Land, töten Rinder. Sie wollen uns wegschicken. Das ist nicht gut. Wenn wir bleiben, werden sie uns vertreiben. Sie …«
»Was ist denn das für ein Quatsch?«, fuhr ihr Jella dazwischen. »Keiner wird euch vertreiben. Wir sind doch Nachbarn und Freunde. Nichts wird sich ändern.«
Sie warf Waravi einen flehenden Blick zu. Doch der schüttelte nur bitter den Kopf.
»Weiße und wir keine Freunde mehr«, beharrte er barsch. »Weiße nehmen uns Land und Wasser weg. Weiße schicken Soldaten. Wir gehen jetzt zu großem Kapitän Samuel Maharero. Er wird entscheiden, was wir tun.«
»Heißt das, ihr gebt euer Dorf auf?« Jella konnte es immer noch nicht glauben.
»Lasst uns miteinander reden«, mischte sich Fritz wieder ein. »Wir setzen uns unter den großen Baum und versuchen eine Lösung zu finden. Ich bin überzeugt, dass die Soldaten euch kein Leid zufügen werden.«
Mateus Waravi deutete wütend auf einen seiner Männer, der einen verbundenen Kopf und einen Arm in der Schlinge hatte.
»Das waren die Männer von Hakoma«, rief er erregt. »Sie haben Thomas zusammengeschlagen, als er seine Rinder nach Hause treiben wollte. Danach haben sie ihm alle Tiere weggenommen!«
Fritz biss sich auf die Lippen. Leute wie Nachtmahr waren schuld daran, dass sich die Stimmung im Land immer weiter aufheizte.
»Das war gemeiner Viehdiebstahl und Körperverletzung«, pflichtete er ihm bei. »Wenn du willst, werde ich zum Distriktchef reiten und ihn anzeigen.«
Mateus spuckte vor Fritz aus. »Pah! Distriktchef nicht gerecht! Nachtmahr behauptet, das sind seine Rinder. Und Distriktchef sagt, er hat recht. Das Recht der Weißen ist nicht unser Recht. Herero immer böse!«
Fritz musste dem Häuptling leider recht geben. Es war allgemein bekannt, dass die Gerichte zweierlei Maß bei Weißen und Schwarzen anlegten. Falls Mateus wirklich klagte, hatte er wohl kaum eine Chance, dass die Rinder wieder an Thomas zurückgegeben würden. Wieder einmal wurde ihm bewusst, dass die Auflösung des Hererodorfes nur der Anfang war. Die Stimmung im Land hatte sich in den letzten Monaten immer weiter aufgeheizt. Die Herero begannen sich zu sammeln. Wie es schien, planten sie sogar einen Aufstand. Dazu kam dieser militante Generalleutnant von Trotha mit seinen willkürlichen Strafaktionen. So wie es im Moment aussah, lief alles auf eine kriegerische Auseinandersetzung hinaus. Es war zum Verzweifeln. Hilflos ließ er seine Schultern sinken.
»Ich wünsche euch viel Glück«, meinte er resignierend.
Jella sah ihren Mann empört an.
»Heißt das, du willst Nancy einfach so
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