Sehnsucht nach Owitambe
Ich habe mich ihm hingegeben und wurde schwanger. Durch die Schwangerschaft hatte ich meinen Vater in Schwierigkeiten gebracht. Er war Abgeordneter und kurz davor, einen Ministerposten zu erhalten. Ein uneheliches Enkelkind hätte einen nicht wiedergutzumachenden Schatten auf seinen Ruf geworfen und seine Karriere vorzeitig beendet. Rüdiger hatte es von Anfang an darauf angelegt, meine Familie kompromittieren zu können. Großzügig bot er meinen Eltern an, mich trotz meiner Schande zu heiraten; dafür sollten sie ihm einen Titel besorgen und mir meine Erbschaft ausbezahlen. Er hatte schon damals vor, nach Deutsch-Südwest auszuwandern. Nur hatte ihm das nötige Geld gefehlt. Mein Vater willigte schließlich ein. Damals war ich im siebten Himmel. Doch das sollte sich schnell ändern. Ich war dumm genug zu glauben, dass Rüdiger mich um meinetwillen wollte. Doch kaum waren wir verheiratet, zeigte er sein wahres Gesicht. Immer wieder hielt er mir vor, was für ein verweichlichtes junges Adelsgeschöpf ich doch sei. Als guter Preuße wollte er mir Arbeitsmoral beibringen, damit ich ihm in der Wildnis eine brauchbare Frau abgäbe. Natürlich genüge ich seinen Ansprüchen nicht. Jeden Tag zeigt er mir seine Verachtung. Ich wäre schon längst wieder zurück nach Deutschland gefahren. Doch das ginge gegen Rüdigers Ehre. Er zwingt mich, hierzubleiben, sonst nimmt er mir meine Kinder.«
Isabella schluchzte verhalten auf. Tränen füllten ihre Augen.
Instinktiv griff Jella nach ihrer feinen Hand und streichelte über die Schwielen.
»Sie dürfen sich trotzdem nicht alles gefallen lassen«, meinte sie. »Sagen Sie Ihrem Mann, dass sie krank sind. Sie haben
eine Gelbsucht, die nur durch Schonung heilen kann. Er muss auf Sie Rücksicht nehmen.«
Statt einer Antwort stand Isabella auf und räumte das Geschirr weg. »Ich muss jetzt wieder an die Arbeit«, entschuldigte sie sich. Sie tat so, als hätte das Gespräch gar nicht stattgefunden. »Rüdiger wird bald zurück sein. Wenn er die Verwüstung sieht, wird er furchtbar wütend werden. Ich muss alles tun, um seinen Wutausbruch in Grenzen zu halten.«
Jella wollte etwas erwidern, doch Isabella gab ihr das Zeichen zu schweigen. Sie wirkte sehr verbindlich.
»Es ist zu spät, um noch nach Owitambe zurückzufahren. Bleiben Sie heute Nacht hier. Ich lasse Ihnen ein Bett herrichten.«
»Das ist nicht nötig«, sagte Jella bestimmt. Schwerfällig erhob sie sich von ihrer Chaiselongue. »Ich werde gleich nochmals nach dem Orlam sehen. Es sieht nach wie vor kritisch mit ihm aus. Wenn Sie mir eine Pritsche in seinen Raum stellen lassen wollen, dann kann ich ihn heute Nacht beobachten. Josua und ich werden dann Morgen im ersten Morgengrauen nach Hause aufbrechen.«
Der Orlam starb in derselben Nacht. Jella hatte nichts anderes für ihn tun können, als seine Schmerzen mit Laudanum zu betäuben. Ohnmächtig hatte sie mit ansehen müssen, wie der Mann starb. Sie saß noch stundenlang neben seiner leblosen Hülle und weinte. Sie machte sich Vorwürfe. Hätte sie operiert, hätte sie den Patienten vielleicht retten können. Dieser Gedanke drehte sich wie ein irrwitziger Kreisel in ihrem Kopf und verursachte schmerzende Schuldgefühle. Dann fasste sie einen Entschluss. Sobald sie wieder in Owitambe war, würde sie noch mehr in Fritz’ Medizinbüchern studieren. Sie würde ihren Inhalt in sich aufsaugen und verinnerlichen. Aber das sollte nicht alles sein. Sie nahm sich außerdem vor, künftig wenigstens einfache Operationen an Tieren vorzunehmen. Fritz war
ein guter Lehrmeister. Er würde es ihr zeigen. Hatte er ihr nicht erzählt, dass Schweine dem menschlichen Körper sehr ähnlich waren? Beim nächsten Verletzten würde sie nicht tatenlos zusehen, wie er starb!
Gedankenverloren ruckelte sie gemeinsam mit Josua wieder zurück nach Owitambe. Sie waren längst schon wieder auf ihrem weiträumigen Farmgelände, als Josua auf eine Gruppe Reiter deutete, die von einem schweren Planwagen begleitet wurde.
»Das keine Männer von uns«, meinte er.
Jella beschirmte ihre Augen und versuchte Genaueres zu erkennen. Die Gruppe kam erst näher, doch dann drehte sie ab, als wolle sie Jella und Josua aus dem Weg gehen.
»Das gefällt mir nicht«, knurrte Jella. »Die Leute sind auf unserem Farmgelände. Die haben doch wohl nichts zu verbergen?«
Sie nahm Josua die Zügel aus der Hand und dirigierte das Pferd mit der leichtgängigen Kutsche in Richtung der Fremden.
»Das nicht gut«,
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