Sehnsucht nach Owitambe
auf Owitambe kennengelernt hatte? Seine Frau hatte längst ihre westlichen Kleider abgelegt und trug Hungergurt und Lendenschurze wie die anderen Himbas. Auch Haartracht und Schmuck hatte sie angelegt. Nur hatte sie Johannes zuliebe auf die Rottönung ihrer Haut verzichtet, weil ihm der ranzige Geruch der aus Butterfett, Ocker und Kräutern hergestellten Farbe unangenehm in die Nase stach.
Sarah spürte Johannes’ Blick und wandte sich ihm zu. Ihre Augen glänzten, und sie schmiegte sich vertrauensvoll an ihn. Erst als Johannes steif blieb, merkte sie auf und suchte in seinem Gesicht nach einem Grund. Doch Johannes schüttelte nur seinen Kopf und stand auf.
»Ich vertrete mir noch ein wenig die Beine«, brummte er einsilbig. Dann trat er durch die dornige Umzäunung hinaus auf
die mit Schutt bedeckte Ebene des Kaokovelds. Vor ihm lagen die hoch aufragenden Tafelberge und Kegel, die eine gewaltige Bergkette bildeten. Der beinahe volle Mond tauchte sie in ein silbrig blaues Licht. Im Mondlicht waren auch die runden Gehege aus Steinen und Holz, die die Schafe, Ziegen und Kühe beherbergten, auszumachen. Mit einem Mal ertönte der geisterhafte Ruf einer Hyäne aus einer Schlucht oberhalb des Lagers. Unter den Schafen und Ziegen begann ein nervöses Drängeln und Schieben. Besonders die Jungtiere reagierten unruhig. Johannes trat zu ihnen und beruhigte sie durch sanftes Zureden. Dann verfiel er wieder in sein grüblerisches Schweigen.
»Was bedrückt dich, mein Geliebter?« Sarahs tiefe Stimme holte ihn unvermittelt aus seiner Grübelei. Er wollte etwas Nichtssagendes antworten, aber dann brach sein Unmut doch aus ihm heraus, und er machte ihm Luft.
»Es war ein Fehler, hierherzukommen«, sagte er ungewollt unwirsch. »Der Junge verwildert hier und wird sich umso schlechter wieder zu Hause einfinden.«
Die harten Worte stolperten ohne sein Zutun über seine Lippen.
Sarah wich erschrocken zurück.
»Deine Stimme lügt. Das ist nicht wahr«, sagte sie entsetzt. »Dein Sohn ist glücklich. Das können deine Augen nicht übersehen haben.«
»Wenn wir länger bleiben, wird er nicht mehr mit zurückwollen.« Sein Unmut wuchs immer noch. »Er gehört nicht hierher!«
»Er gehört auch nicht nach Owitambe.« Sarah wurde nun auch erregt. Sie sah ihren Mann herausfordernd an. Er hatte sie verletzt und in ihrer Ehre gekränkt.
»Wie kannst du so etwas sagen«, regte er sich auf. »Wir waren uns immer einig, dass der Junge aufwachsen muss wie ein zivilisierter Mensch.«
»Ach so?« Sarah verzog gekränkt den Mund. »Du meinst: Mein Volk ist weniger wert als deines?« Enttäuschung rang mit aufkeimender Wut. »Wieso willst du mich dann als Frau?«
Johannes schwieg betroffen. Ihm war klar, dass er den Bogen überspannt hatte. Er hasste Rassenvorurteile aus tiefstem Herzen. Für ihn waren alle Menschen gleich viel wert. Und doch hatte er sich in seinem Unmut über Sarahs Volk gestellt.
»Sarah, bitte …« Sein Versuch, die Wirkung seiner Worte abzuschwächen, scheiterte kläglich. »Du weißt, dass ich es nicht so gemeint habe. Ich schätze dein Volk. Ich liebe dich!«
»Dein Mund spricht Worte, die ich nicht verstehe«, entgegnete sie kühl. »Du sagst, du weißt, was für alle gut ist. Aber weißt du auch, was dein Sohn will?«, fragte sie. »Raffael trägt das Blut von dir und mir in sich. Du kannst sein Himbablut nicht rausnehmen. Und du kannst sein deutsches Blut nicht entfernen. Er muss selbst finden, wohin er gehört.«
Johannes ballte die Fäuste. Er fühlte, wie erneut die Gefühle in ihm aufwallten. Natürlich hatte Sarah recht. War er nicht damals als junger Mann auch seinen eigenen Weg gegangen und hatte sich über die Wünsche seines Vaters hinweggesetzt? Damals hatte er sich geschworen, mit seinen Kindern alles besser zu machen. Doch jetzt standen die Dinge anders. Raffael war intelligent, er musste auf eine gute Schule. Er war sein Sohn! Und dessen Zukunft lag bestimmt nicht in dieser kargen Wildnis! Und es war seine Aufgabe als Familienvorstand, dafür zu sorgen. Es war seine Pflicht!
»Wir können hier nicht mehr länger bleiben«, entschied er. Seine Frau hatte seine Entscheidung zu respektieren. Um seinen Worten die Härte zu nehmen, fügte er hinzu. »Natürlich war es wichtig für den Jungen, deine Familie kennenzulernen. Aber nun ist es höchste Zeit, dass er zu seinem richtigen Leben zurückfindet. Und das ist für ihn auf Owitambe!«
Sarah biss sich auf die Unterlippe. Johannes’ Worte trafen
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