Sehnsucht nach Owitambe
herumirrende Hereroseelen zu retten.«
Fritz zog erstaunt die Augenbraue hoch. Sofort begann der redselige Missionar sein Anliegen vorzutragen. Wenige Tage zuvor hatte das zweite Bataillon des I. Feldregiments auf seiner Missionsstation Halt gemacht, um seine Wasservorräte aufzufrischen. Dabei war Kiesewetter mit Major Ludwig von Estorff ins Gespräch gekommen. Der Major hatte in der Schlacht am Waterberg mitgekämpft und hatte nun den Befehl, sich mit seinen Männern an der Treibjagd auf die Herero zu beteiligen. »Sie hätten den Mann mal sehen sollen«, meinte Kiesewetter kopfschüttelnd. »Der war völlig aus dem Häuschen. Die Mission, zu der man ihn verdonnert hatte, lag ihm wie ein Felsbrocken auf seiner Seele. Der Major brannte geradezu darauf, bei mir sein Gewissen zu erleichtern. Der sagte doch glatt, dass dieses Kommando einem Völkermord gleichkomme. Der Mann war verbittert und sagte wörtlich, dass diese törichte und grausame Politik ihn noch an seinem Verstand zweifeln ließ. Er selbst hatte versucht, bei General von Trotha Gnade für die Herero zu erwirken, doch der Mensch will die Vernichtung dieses Volkes!« Kiesewetter machte eine kurze Pause, um sich zu vergewissern, dass seine Zuhörer ihn verstanden hatten. Fritz, Imelda und Rajiv
schüttelten fassungslos den Kopf. Sie hatten viele Gerüchte gehört, aber das schlug dem Fass den Boden aus. Kiesewetter erzählte weiter. Natürlich hatte er wissen wollen, was mit den gefangenen Herero geschah. Von Estorff berichtete daraufhin von Konzentrationslagern, die das Militär errichten ließ. Dort sollten alle Aufständischen untergebracht werden, nicht nur die Krieger, sondern auch Frauen, Alte und Kinder.
»Die Zustände in diesen Lagern sind erbärmlich«, hatte von Estorff mit sichtlichem Widerwillen berichtet. »Die Menschen leben im Dreck, werden schlecht versorgt und sind infolgedessen krank und apathisch. Viele werden den Winter nicht überstehen.«
Kiesewetter hatte das Gespräch tief aufgewühlt. Das Schicksal der herumirrenden Herero bewegte ihn. Viele von ihnen kannte er. Er hatte sie bekehrt, getauft und mit ihnen Gottesdienst gefeiert. War es nicht seine Christenpflicht, ihnen in ihrer Not beizustehen? Immerhin gab es nicht nur die Konzentrationslager des Militärs. In einigen Missionsstationen waren mittlerweile auch Auffanglager für die armen Verfolgten entstanden. Dort ging es ihnen um einiges besser. Zwar waren sie ebenfalls Gefangene, aber die Missionare kümmerten sich wenigstens um ein Mindestmaß an Sauberkeit und regelmäßiges Essen. Außerdem wurde keiner der Insassen zu Zwangsarbeit gezwungen. Traugott Kiesewetter hatte sich an jenem Tag entschieden, in die Wüste zu ziehen, um Überlebende zu finden. Allein, es fehlte ihm noch an Helfern.
»Und da habe ich sofort an Sie gedacht«, beendete der Geistliche seinen Bericht. Er sah dabei Fritz hoffnungsfroh an. »Sie sind mir sofort in den Sinn gekommen!«, schnaufte er. »Keiner kennt sich in der Omaheke so gut aus wie Sie. Man hat mir erzählt, dass sie genauso gut Spuren lesen können wie ein Buschmann. Keine Frage: Sie sind genau der richtige Mann für diese Aktion!«
Fritz schüttelte bedauernd den Kopf.
»Das ist völlig unmöglich. Sie werden leider auf mich verzichten müssen, Pastor. Ich werde auf Owitambe gebraucht. Meine Frau erwartet in wenigen Wochen ihr Baby. Ich kann sie jetzt nicht mehr für längere Zeit allein lassen.«
»Bis dahin sind wir doch längst wieder zurück.« Kiesewetter gab sich nicht so leicht geschlagen. »Denken Sie nur an die armen Frauen und Kinder, die wir beide retten könnten! Jeder Tag zählt jetzt!«
»Tut mir leid!«
Kiesewetter ließ betrübt seine Schultern sinken und seufzte: »Sie waren meine einzige Hoffnung! Aber Gottes Wege sind nicht immer gerade!«
»Kommen Sie trotzdem mit nach Owitambe«, schlug Fritz vor. Er hatte ein schlechtes Gewissen. Unter anderen Umständen hätte er den Pastor ohne zu zögern unterstützt. Das Schicksal dieser Menschen war ihm keinesfalls gleichgültig. »Stärken Sie sich und dann überlegen wir gemeinsam, wer für Ihre ehrenvolle Unternehmung noch in Frage kommt.«
Unvermittelt mischte sich nun Rajiv Singh in die Unterhaltung ein.
»Wenn Sie auch einen Andersgläubigen als Ihren Helfer akzeptieren, würde ich mich Ihnen gern anschließen«, meinte er zu ihrer aller Überraschung. »Auch wir Hindus kennen das Gebot der Nächstenliebe.«
Dabei sah er Imelda an, als ob er ihr etwas erklären
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