Sehnsucht nach Owitambe
müsste. Doch die lächelte ihn nur mit einer Mischung aus Stolz und unverhohlener Zuneigung an.
»Das ist eine wundervolle Idee«, fand sie. »Sie sollten Rajiv, ähm, Herrn Singh unbedingt als Begleiter in Erwägung ziehen!«
Traugott Kiesewetter strahlte bis über beide Ohren.
»Lasset die Schäflein zu mir kommen!«
Beim Abendessen auf Owitambe unternahm der Missionar einen erneuten Versuch, Fritz doch noch zu überzeugen. Dieses Mal wandte er sich an Jella und erzählte ihr von seinem Vorhaben. Eindringlich schilderte er abermals Estorffs schaurige Erfahrungen und legte in allen Einzelheiten dar, weshalb es aus christlicher Sicht so notwendig war, die fliehenden Herero zu retten. Jella hörte betroffen zu. Kiesewetter musste sie nicht von der Richtigkeit seines Unterfangens überzeugen. Allein die Vorstellung, dass auch Menschen, die sie kannte, schutzlos der Wüste ausgeliefert waren, tat ihr in der Seele weh. So kam sie ganz von allein auf die Idee, Fritz um Unterstützung zu bitten.
»Pastor Kiesewetter braucht dich«, stellte sie auf ihre unverblümte Art fest. »Keiner kennt sich in der Omaheke besser aus als du. Die Vorstellung, dass Nancy und ihre Kinder da draußen herumirren, macht mich ganz wirr vor Sorge. Wenn du sie suchen würdest, hätte ich wenigstens das Gefühl, dass wir etwas für sie tun.«
»Wir werden längere Zeit unterwegs sein«, warf Fritz ein. Er nahm Jellas Hand und streichelte sie besorgt. »Was ist, wenn das Baby früher kommt?«
»Mach dir darüber mal keine Gedanken!«, winkte Jella ab. »Imelda ist ja bei mir. Sie wird mir bei der Geburt ohnehin eine größere Hilfe sein als du.«
Sie warf ihm einen ihrer spöttisch-liebevollen Blicke zu.
»Ich würde ja selbst mitgehen, wenn es möglich wäre.«
»Gott bewahre!«
Fritz hob geschlagen die Arme. Im Grunde seines Herzens war er erleichtert, dass sogar Jella ihm dazu riet. Sie hatte recht, es war ihre christliche Pflicht zu helfen. Die Erinnerungen an den Burenkrieg waren noch längst nicht verblasst. Damals war er begeistert in den Krieg gezogen und hatte am eigenen Leib erfahren müssen, wie grausam und ungerecht er war. Der tragische Tod seines Vaters und der Verlust seiner Hand hatten ihn
für lange Zeit zu einem gebrochenen Mann gemacht. Darüber hinaus war er gezwungen worden, zu töten, und hatte sich dafür gehasst. Damals hatte er sich geschworen, dass er nie wieder so ein Leid zulassen wollte. Er konnte Kriege nicht verhindern, aber er konnte dafür sorgen, menschliches Leid zu lindern.
»Also gut, ich komme mit.«
Fritz’ dunkle Augen funkelten vor Unternehmungslust. Zärtlich zog er Jellas Hand an seine Lippen und sah ihr tief in die Augen. »Nun musst du mir nur noch versprechen, mit der Geburt unseres Kindes bis zu meiner Rückkehr zu warten.«
»Versprochen!«, lachte Jella.
Allerdings ahnte sie nicht, wie leichtfertig sie dieses Versprechen gegeben hatte.
»Ich will auch morgen mit den Jungen zum Ziegenhüten«, quengelte Raffael ungeduldig. »Ich weiß, wie man pfeift und schnalzt und wie man so die Ziegen und Kälber führt!«
Er baute sich vor seinen Eltern auf und gab eine Kostprobe seines mühselig erworbenen Könnens. Mittlerweile unterschied ihn nichts mehr von seinen Cousins und Cousinen. Vor einigen Tagen hatte sich Raffael seiner westlichen Kleider entledigt und Komiho um einen Hungergurt und zwei Lederschurze gebeten. Außerdem bekam er von ihr Hals-, Arm- und Knöchelreifen. Jetzt erinnerten nur noch seine im Sonnenlicht rötlich schimmernden Haare daran, dass er nur zur Hälfte ein Himba war. Der kleine Junge war seit ihrer Ankunft wie ausgewechselt. Denn im Gegensatz zu den Kindern auf Owitambe gaben ihm die Himbakinder keine Gelegenheit, sein aufbrausendes Temperament auszuleben. Natürlich war Raffael anfangs auch hier seinen Cousins und Cousinen gegenüber rechthaberisch und überlegen aufgetreten. Doch anstatt sich darüber zu ärgern, lächelten die Kinder nur freundlich und zogen sich
dann von ihm zurück. Sie gaben ihm auch zu verstehen, dass er jederzeit gern wieder willkommen war, wenn sein »missmutiger Ahn ihn wieder in Ruhe gelassen hatte«. In ihrer Vorstellung waren Raffaels unangenehme Eigenarten die Folge einer kurzzeitigen Verzauberung. Raffael begriff schnell, dass es nur zwei Arten gab, wie er sich verhalten konnte. Entweder er beharrte weiterhin auf seinen eigenen Ideen und blieb allein, oder aber er ging auf die anderen zu. Allerdings war es in der Gemeinschaft
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