Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)
und äugten nach den jungen Männern, die sich betont lässig gegenseitig Zigaretten anboten und sich die größte Mühe gaben, beim Rauchen das Husten zu unterdrücken.
Was für eine alberne Veranstaltung, dachte Malu. Hier ist es nicht besser als auf dem Viehmarkt.
Doch schon erklangen von drinnen die ersten Takte eines Walzers, und die jungen Damen und Herren strömten aufs Parkett. Ehe sich Malu versah, stolperte sie am Arm eines schmalen jungen Mannes mit schlaksigen Armen und Beinen über die Tanzfläche. Vom Arm des Schlaksigen wanderte sie in den Arm eines kleinen dicken Grafen, dem vor Aufregung der Schweiß auf der Stirn stand und der während des gesamten Tanzes kein einziges Wort mit ihr sprach. Von ihm wurde sie an den nächsten, dann an den übernächsten und anschließend an den überübernächsten Tänzer weitergereicht. Das ging so weiter, bis ihr am Ende der Nacht die Füße brannten, die Schultern schmerzten und sie sich erschöpfter fühlte, als hätte sie den ganzen Tag an der Nähmaschine gesessen.
Die restlichen Bälle zogen an Malu vorbei, ohne dass sie dessen gewahr wurde. Sie trug eng geschnürte Korsetts, die ihr die Luft zum Atmen nahmen, und altmodische Krinolinen, mit denen sie überall anstieß. Am Handgelenk war ein kleines Blumensträußchen befestigt, das von Minute zu Minute gerupfter aussah, bis ihm schließlich alle Blüten fehlten. Ihre Tanzkarte war zu Cäcilies Ärger, die sich von ihrem Mann regelmäßig über Malus Fortschritte und Eroberungen informieren ließ, eher mäßig gefüllt, denn schon nach dem ersten Ball wurde geflüstert, dass die Zehlendorf-Tochter sich nichts aus dem Tanzen machte. Und tatsächlich: Malu hasste die Quadrillen mit den Damenmühlen. Sie wusste noch immer nicht, wann sie nach links und wann sie nach rechts treten musste, hob stets den falschen Arm oder drehte sich in die entgegengesetzte Richtung. Sie fühlte sich plump und vollkommen fehl am Platze, und immer wieder fiel ihr das Gespräch zwischen ihren Eltern ein, das sie heimlich belauscht hatte.
»Hübsch ist sie nicht«, hatte Cäcilie von Zehlendorf behauptet, und Malu konnte vor ihrem geistigen Auge sehen, wie die Mutter abschätzig den Mund verzog. »Nun, sie hat es zwar nicht verdient, aber im Alter wird sie es leichter haben als die Hübschen. Während die Hübschen ihrer verloren gegangenen Schönheit nachtrauern und ihre Entstellungen nicht wahrhaben wollen, wird sie sich schon lange an ihr Äußeres gewöhnt haben.«
»Sprich nicht so, Cäcilie«, hatte der Vater erwidert. »Malu ist hübsch. Sie hat wundervolles Haar und schöne Augen.«
»Als ob das ausreicht!« Cäcilies Stimme klang, als würde sie mit den Tränen kämpfen. Malu wusste, dass die Mutter von sich selbst sprach. Und sie war sich sicher, dass auch ihr Vater dies wusste.
»Ich wünsche ihr Gelassenheit«, sagte er. »Es gibt wohl kein größeres Glück, als im Alter heiter zu sein.« Obwohl der Vater so tat, als spräche er von seiner Tochter, wusste Malu, dass auch seine Worte ihrer Mutter galten.
Ärger war in ihr aufgestiegen. Inzwischen war es ihr nur recht, dass die Mutter für sie keinen Platz in ihrem Leben hatte. Aber es ärgerte sie, dass ihre Mutter die Aufmerksamkeit, die der Vater ihr schenkte, auch noch für sich beanspruchte.
Wieder hörte sie Cäcilie von Zehlendorf seufzen. »Sie ist eben ganz der Vater.« Malu wusste, dass sie mit diesen Worten den Vater kränken wollte. »Die Kalamität glaubt, dass es regnet, weil sie traurig ist, der Sturm draußen tobt, weil es in ihr tobt; und sie glaubt, dass die Missernten aus ihrer mangelnden Liebenswürdigkeit entstehen.«
Wieder sprach die Mutter von sich selbst, aber Malu war sich nicht sicher, ob ihr dies auch bewusst war.
Der Vater jedenfalls entgegnete: »Sie ist hübsch, sie ist klug, und im Gegensatz zu dir bin ich stolz darauf, ihr Vater zu sein und sie in die Gesellschaft einzuführen.«
»Nun, irgendwer muss es auch machen. Die Hauptsache ist, dass wir sie schnell verheiraten. Glaube mir, mein Lieber, das wird schwerer werden, als du dir vorstellen kannst.«
Dass Malu trotz ihrer Abneigung die Bälle besuchte, war keineswegs auf das Drängen ihrer Mutter zurückzuführen, die es offenbar kaum abwarten konnte, Malu zu verheiraten oder wenigstens zu verloben. Nein, Malu liebte Stoffe und war ihnen auf den Bällen näher als sonst irgendwo. Das Changieren der Seidenkleider im Kerzenlicht rief ihr Entzücken hervor. Sie liebte das Rascheln,
Weitere Kostenlose Bücher