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Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Titel: Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Winter
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gestrenger Vater, aber diesen kindischen Wunsch werde ich dir nicht erfüllen. Du wirst die Ballsaison bis zum Ende durchstehen, wie alle anderen Mädchen deines Standes auch.«
    Die Stimme des Vaters war bei diesen Worten laut geworden, sein Gesicht so bestimmt, wie Malu es nur selten gesehen hatte. Also nickte sie, senkte betroffen den Kopf und murmelte: »Ja, Vater. Ich werde zu jedem Ball gehen und hoffe, dir keine Schande zu bereiten.«
    Malu hielt ihr Versprechen und tanzte sich mit ungelenken, pickligen Jungs durch den Winter. Einmal war ihr, als erblicke sie Johanns Gesicht hinter einem der Fenster. Doch als sie hinausrannte, war niemand da.
    Da es für eine junge Dame von ihrem Stand unmöglich war, zwei Mal dasselbe Kleid zu tragen, und Cäcilie von Zehlendorf sich überhaupt nicht um die Festgarderobe kümmerte, zog Malu auch die Kleider an, die sie im Schrank ihrer Mutter fand und für passend hielt. Cäcilie war eine Frau mit feinem Geschmack. Zwar waren ihre Roben schlicht und entsprachen nicht immer der neuesten Mode, wohl aber den Konventionen der Baltendeutschen. Daher schleppte sich Malu durch die Ballabende mit dem Gefühl, in einem Käfig aus Fischstäben, Krinolinen und Stoff zu stecken.
    Sie tanzte mit ihrem Bruder, weil es sich so gehörte; doch Rupperts Gesicht zeigte nicht das geringste Anzeichen von Freude, seine Schwester über das Parkett zu führen. Er war, wie schon die Mutter, unzufrieden mit ihr. »Kannst du nicht mal lächeln?«, maßregelte er sie. »Warum flirtest du nicht? Hast du denn überhaupt keine Anmut? Es ist eine Schande, dass ich meine Freunde überreden muss, mit dir zu tanzen.«
    Malu tat, als würde sie sich an solchen Sätzen nicht stören, doch insgeheim blutete ihr Herz. Welche junge Frau wollte schon hören, dass niemand sie begehrte? Sie fand noch nicht einmal das Wohlwollen ihres Bruders. Wie immer in seiner Gegenwart fühlte sie sich wie mit einem Makel behaftet. Zwar sprach Ruppert nur sehr selten über den Tod der alten Tante Camilla, und während des Tanzes bemühte er sich sogar um eine Art Konversation, trotzdem blieb Malu befangen, wusste mit einem Mal nicht mehr, wie sie ihre Füße setzen sollte. Sie kam sich plump, ungeschickt und dümmer vor als das ungebildetste Milchmädchen. Wahrscheinlich, dachte sie, schämt Ruppert sich für mich. Wahrscheinlich hat er das schon immer getan, und ich darf es ihm nicht verdenken, denn schließlich habe ich ja Schuld auf mich geladen.
    Wenn der Tanz mit ihm zu Ende war, fühlte sie sich stets erleichtert und flüchtete mit einem Lächeln in den Arm des nächsten jungen Mannes.
    Als die Saison ihrem Ende entgegenging, hatte Malu noch immer keinen Verehrer. Nicht einer der jungen Männer kam ins Haus, um bei ihrem Vater vorstellig zu werden. Doch Malu war es recht so.
    Zum großen Abschlussball der Saison durfte jede Debütantin eine Freundin mitbringen. Malu, im himmelblauen Paul-Poiret-Ensemble, brachte Constanze mit. Auch für sie hatten sie ein Kleid geschneidert. Es war ganz im Stile eines Schäfermädchens mit engem Mieder und weit fallendem Rock. Den Stoff dafür hatten sie aus einem Kleid, das Malus Mutter nicht mehr trug. Nur zu gern hätte Malu jedes einzelne Kleid, das sie während der ganzen Ballzeit getragen hatte, nach ihren Wünschen geändert, doch die Zeit dafür reichte einfach nicht aus. Zu unsicher war sie noch, was ihren Geschmack betraf, und zu wenig gewandt, um aus einem schon bestehenden Kleid in kurzer Zeit ein gänzlich neues zu machen. Für Constanzes Kleid aber hatten sich die Mädchen viel Zeit genommen. Das Oberteil war über und über mit einem zarten Blumenmuster bestickt, während der Rock nur am Saum eine Spitzenborte trug.
    Constanze hatte sich das Haar geringelt und sah so lieblich aus wie ein Mädchen auf den Bildern des vorigen Jahrhunderts: still, sanft, romantisch. Sie war so erfreut gewesen über Malus Einladung, dass sie entgegen ihrer Gewohnheit um den Tisch getanzt war. Sie liebte Bälle, konnte sich nicht satthören an Komplimenten, und – Malu hatte es seit einiger Zeit bemerkt – sie sah den Jungen nach. Constanze konnte stundenlang unter einem Baum im Gras liegen und sich ihren zukünftigen Ehemann in allen Einzelheiten ausmalen. Ja, sie wusste sogar schon die Namen ihrer zukünftigen Kinder. Manchmal hatte Malu das Gefühl, es wäre besser gewesen, wenn sie als Constanze Mohrmann das Licht der Welt erblickt hätte und ihre Freundin als Marie-Luise von Zehlendorf.

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