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Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Titel: Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Winter
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Constanze liebte und interessierte sich für alles, was eine Frau von Stand wissen sollte. Malu dagegen hätte lieber in einem Pfarrhaus gelebt und später als Schneiderin gearbeitet. Umso mehr freute sie sich nun, gemeinsam mit Constanze zum letzten Ball der Saison gehen zu dürfen.
    Kaum betraten Malu und Constanze den Saal, setzte Getuschel ein. Junge Männer steckten ihre Köpfe zusammen, und die übergewichtigen Mütter, die auf der Empore, dem sogenannten Drachenfelsen, hockten und sich mit Seidenfächern Luft zufächelten, lächelten beifällig und nickten huldvoll. Die Saaldiener bedachten Constanze mit liebenswürdiger Aufmerksamkeit, und sogar die älteren Herren, die es normalerweise spornstreichs in den Rauchersalon zog, blieben bei ihrem Anblick stehen und betrachteten die junge Dame mit Wohlgefallen.
    »Ich bin so aufgeregt«, flüsterte Constanze der Freundin zu. »Hoffentlich mache ich nichts falsch. Ich habe Angst, dass ich dich blamiere.«
    Malu lachte. »Du mich blamieren? Keine Sorge, das habe ich schon vom ersten Ball an ganz alleine geschafft. Du wirst sehen, deine Tanzkarte wird bald bis zum obersten Rand gefüllt sein.«
    Und so war es auch. Während Constanze anmutig die Quadrille tanzte und sich mit schwingendem Rock nach allen Seiten drehte, standen die nächsten Tänzer schon am Rande des Parketts bereit.
    Ruppert tat sich hervor, als wäre Constanze seine Schwester. Immer wieder kontrollierte er ihr Tanzkärtchen, strich den einen oder anderen Namen und setzte seinen eigenen an dessen Stelle. Und Constanze ließ es geschehen, ließ auch geschehen, dass Rupperts Arm bei jedem Tanz ein Stück weiter von ihren Schulterblättern in Richtung Po glitt. Sie ließ geschehen, dass er an ihr roch, sie behandelte, als wäre sie sein Besitz. Es war das erste Mal, dass er Constanze Beachtung schenkte und sie nicht als etwas betrachtete, das selbstverständlich zu seinem Besitz gehörte wie die Milchmädchen. Früher, beim gemeinsamen Unterricht, hatte er kaum das Wort an sie gerichtet. Doch nun war sie nicht nur eine junge Dame, sondern eine der schönsten auf diesem Ball, und Ruppert schmückte sich mit ihr.
    Malu schüttelte den Kopf, stand an eine Säule gelehnt und betrachtete Lieselotte von Grevenbruchs Kleid, verfolgte den Schwung der Röcke, sah auch, wie Annemarie Behender in ihrem eng geschnürten Korsett kurzzeitig die Sinne schwanden, ehe sie von ihrer resoluten Mutter wiederbelebt und zurück auf die Tanzfläche geschleift wurde. Malu sah das alles, aber es berührte sie nicht. Die Leute ringsum, die sie von Kindesbeinen an kannte, waren ihr fremd. Das Lachen klang falsch in ihren Ohren, die Musik war voller verkehrter Töne, und selbst ihr Vater war nicht der, den sie von zu Hause kannte.
    Einmal kam er zu ihr, die weiße, gestärkte Hemdbrust nach vorn gewölbt, strich ihr über die Schulter und sagte: »Kneif dir in die Wangen, Liebes. Ich möchte dich gern dem jungen Freiherrn von Ansternhau vorstellen.«
    »Warum soll ich mir dafür in die Wangen kneifen?«
    »Damit du hübsch und frisch ausschaust«, erwiderte der Vater und zog sie mit sich fort.
    Unablässig behielt Malu die Uhr im Auge, starrte auf den Zeiger, der sich viel zu langsam bewegte. Constanze hatte rote Wangen, ihre Augen glänzten. Malu sah ihr an, wie schön und begehrenswert sie sich fühlte. War sie neidisch? Sie wusste es nicht. Wusste nur, dass sie es ungerecht fand, dass Constanze so umschwärmt wurde, während sie an der Säule lehnte. Mit einem Mal schlugen zwei Herzen in Malus Brust. Zwar wollte sie eigentlich keinen der jungen Männer hier geschenkt haben, doch wenn sie ehrlich war, hatte sie sich doch nach ein wenig mehr Beachtung gesehnt. Aber kam jemand zu ihr und forderte sie auf, so schüttelte Malu stumm den Kopf und biss sich vor Unglück auf die Lippe. Sie wollte nicht tanzen, keine Komplimente hören, nicht fremde Hände auf ihrem Körper spüren – und sehnte sich zugleich nach nichts anderem mehr.
    Endlich schlug die Uhr Mitternacht. Die Gesellschaft begab sich in den Garten. Sekt von der Krim wurde gereicht, und am Himmel stieg ein Feuerwerk auf. Es war Mai, die Nacht noch kühl, aber nicht kalt.
    Malu schlang sich ein Schultertuch um und begab sich in den Garten. Kaum war sie außer Sicht, zog sie ihre Schuhe aus und stellte sich in den feinen Seidenstrümpfen auf den frischen Rasen. Sie schöpfte tief Luft. Von fern hörte sie das Gelächter der Gesellschaft, das kleine Orchester spielte jetzt

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