Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)
Lande zu führen, und frivoles Benehmen werde nicht geduldet. Sie selbst, die Mutter, würde nicht zu den Bällen mitgehen, das müsste schon der Vater tun; sie halte ihre Pflicht in dieser Hinsicht für erfüllt, und der Termin bei der Schneiderin in Riga wäre nächsten Mittwoch um halb drei. Sie solle der Schneiderin nicht widersprechen und einfach nur tun, was diese ihr sage. Alle anderen Kleider könne sie hernach selbst aussuchen, allerdings müssten sie den gesellschaftlichen Normen gehorchen.
Malu hatte zu jedem Satz genickt und dabei den Blick auf den Boden gerichtet, weil Cäcilie von Zehlendorf es nicht ertragen konnte, von ihrer Tochter gemustert zu werden. Dann hatte sie Malu mit einer Handbewegung, als wolle sie eine lästige Fliege verscheuchen, zu verstehen gegeben, dass die Audienz beendet sei. Malu hatte sich bedankt, wenn sie auch nicht genau wusste, wofür eigentlich. Am nächsten Mittwoch war sie dann nach Riga gefahren und hatte ihr Kleid, eine überladene Scheußlichkeit mit Rüschen, Puffungen, Spitzen und Schleifen, angezogen und gehofft, der Eröffnungsball wäre schon vorüber.
Jetzt fuhr sie in der Kutsche ihres Vaters zum Gut des Grafen Wehrheim, bei dem die Eröffnung der Ballsaison stattfinden sollte. Es war noch kühl, und sie hatte sich eine Pelzstola um die Schultern gelegt.
»Bist du aufgeregt?«, fragte der Vater.
Malu zerrte an einer der Rüschen und schüttelte den Kopf. »Warum sollte ich?«
Wolfgang von Zehlendorf lachte leise. »Weil du, wenn alles nach Plan läuft, den Mann deines Lebens auf einem der Bälle treffen wirst. Der Mann, der deine Zukunft ist.« Dann griff er in die Innentasche und drückte Malu ein kleines Paket in die Hand.
»Ein Geschenk? Für mich?«
Er nickte. »Pack es aus.«
Hastig wickelte Malu das Papier ab und enthüllte ein in rotes Safianleder gebundenes Büchlein. Sogleich schlug sie es auf. »Oh, ein Kalender. Wie hübsch. Ich hatte noch nie einen Kalender.«
»Es ist mehr als das, meine Kleine. Ich habe mir erlaubt, in diesen Kalender bereits alle Balltermine und Abendgesellschaften einzutragen. Hinter den Datumsblättern sind leere Seiten, auf die du deine Erlebnisse schreiben kannst.« Er lächelte. »Ich habe gehört, junge Mädchen tun dergleichen.«
Malu hatte noch nie Tagebuch geführt. Sie wusste auch jetzt nicht, was sie auf die leeren Seiten schreiben könnte, doch die Geste ihres Vaters rührte sie. Sie drückte seine Hand. »Danke schön. Das ist sehr aufmerksam von dir.«
Wolfgang von Zehlendorf betrachtete seine Tochter nicht ohne Stolz. »Ich wünsche dir eine erfolgreiche Saison, meine liebe Malu. Und ich bin sicher, du wirst zahlreichen jungen Männern das Herz brechen.«
Malu lächelte ein wenig schmerzlich. Sie würde ihren Vater enttäuschen, das wusste sie jetzt schon. Sie machte sich nichts aus Bällen und fühlte sich noch viel zu jung, um eine feste Bindung mit einem Mann einzugehen. Das wollte sie ihrem Vater natürlich nicht sagen, und so dachte sie angestrengt nach, was sie auf seine Äußerung erwidern könnte. Doch ehe sie die richtigen Worte fand, fuhr ihre Kutsche vor der großen Freitreppe des Wehrheimschen Anwesens vor.
Diener rissen den Wagenschlag auf und halfen ihr beim Aussteigen, während an der Seite der Auffahrt zahlreiche Neugierige Aufstellung genommen hatten, um die Ankunft der Debütantinnen nicht zu verpassen. Am Arm ihres Vaters betrat sie den großen Saal, der, wie Malu auf den ersten Blick sah, mit viel Geschmack geschmückt worden war. Um die Säulen waren seidene Girlanden gewickelt worden, auf den Tischen standen wundervolle Blumenarrangements, und an den Decken leuchteten funkelnde Lüster.
Ein Zeremonienmeister verkündete ihr Eintreffen: »Marie-Luise, Freiin von Zehlendorf.«
Für einen Augenblick spürte sie die Blicke aller Anwesenden auf sich und wurde verlegen.
Ihr Vater beugte sich zu ihr herunter. »Nicht den Kopf senken! Straff den Rücken, lächle, und nicke nach allen Seiten.«
Malu tat, wie er von ihr verlangt hatte, war aber doch gottfroh, als sie sich endlich an ihren Tisch gesetzt, die Tischnachbarn begrüßt und ein wenig Konversation betrieben hatte. Nach dem Diner zogen sich die Väter der Debütantinnen in den Rauchsalon zurück, und die Damen schöpften auf der Terrasse frische Luft, während das Personal rasch Tische und Stühle zur Seite räumte, um die Tanzfläche freizumachen.
Malu sah sich um. Die Debütantinnen standen in kichernden Grüppchen zusammen
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