Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)
entdecken, seinen schlaksigen Gang und seine hohe, magere Gestalt. Und einmal, als sie in einem Kaufhaus mit der Rolltreppe nach oben fuhr, war ihr sein Geruch begegnet. Ganz flüchtig nur, wie ein Windhauch. Trotzdem war Malu mit der Rolltreppe, kaum oben angelangt, wieder nach unten gefahren und dem Duft nachgegangen, aber sie hatte ihn nicht finden können. Nun schlug ihr Herz mit einem Mal rasend schnell, und die Kehle wurde ihr eng. »Wie geht es Janis?«, fragte sie gequält.
Ruppert lachte, und Malu schien es, als weide er sich an ihrer Qual. »Er macht sich gut als Ehemann«, sagte Ruppert schließlich. »Die Leute meinen, etwas Besseres als diese Frau hätte ihm nicht passieren können. Ich habe ihn im Sommer abends oft mit ihr draußen sitzen sehen. Bei Kerzenschein!«
Malu hätte sich am liebsten unter diesen Worten gekrümmt, doch sie wollte nicht, dass Ruppert sie leiden sah.
»Das freut mich für ihn«, erwiderte sie.
»Das ist noch nicht alles«, fuhr Ruppert fort. »Als ich nach Berlin aufgebrochen bin, war Janis’ Frau schwanger. Es hieß, er freue sich sehr auf das Kind.«
»Auch das freut mich für ihn«, presste Malu hervor, dann verließ sie die Küche, warf sich in ihrem Zimmer auf das Bett und weinte.
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Berlin, 1922
M alu konnte sich nicht lange in ihrem Schmerz vergraben. Am Nachmittag musste sie ins KaDeWe. Und vorher wollte sie ihr neues Automobil abholen. Sie hatte in den letzten Wochen Fahrstunden genommen und glaubte, dass es ihr leichtfallen würde, das starke Gefährt zu führen.
Malu wischte sich die Tränen ab, fuhr mit der U-Bahn bis nach Wilmersdorf und nahm dort ihr Auto in Empfang. Dann kehrte sie nach Hause zurück, packte ihre Kollektion und ihre Entwürfe ein und steuerte ihren neuen Wagen zum KaDeWe.
Auch die Hinterzimmer des Kaufhauses waren prächtig ausgestattet. Als besonders luxuriös erwies sich das Büro von Herrn Jandorf, dem Inhaber des KaDeWe: Es war ganz mit edlem Holz getäfelt, im prachtvollen Kronleuchter wurden die Sonnenstrahlen reflektiert.
An einem großen Tisch, um den herum bequeme Clubsessel standen, saßen einige Herren in gut geschnittenen dunklen Anzügen. Nachdem Adolf Jandorf Malu begrüßt hatte, stellte er die anderen Männer vor: »Herr Schramm, der Reklamechef des Hauses, Herr Ewald, der Einkäufer, und unser Schneidermeister Pieskow. Wir alle sind gespannt auf Ihre Arbeit.«
Malu schluckte und versuchte unauffällig, sich die verschwitzten Hände abzuwischen. Das hier war keine Modenschau, bei der die Mannequins im Mittelpunkt standen. Hier waren alle Augen auf sie gerichtet. Vorsichtig hob sie das erste ihrer Kleider aus dem Seidenpapier und breitete es auf dem Tisch aus.
»Dieses Kleid ist eine Hommage an den französischen Modeschöpfer Paul Poiret«, erklärte sie. »Es ist ein Kleid für den Nachmittag. Als Stoff habe ich leichtes Leinen gewählt. Die Taille sitzt nicht so tief wie bei den anderen Kleidern der Saison, sondern liegt eng an. Der Rock schwingt etwas über den Hüften, wird aber zum Knie hin schmaler, und am Saum kann man ihn mit einem Band zusammenziehen.«
Die Männer nickten, der Schneidermeister befühlte den Stoff und prüfte die Nähte.
Malu legte eine weitere Kreation auf den Tisch. »Dies hier ist kein Kleid im eigentlichen Sinne. Es handelt sich eher um ein sportliches Ensemble. Wichtigster Teil ist eine Hose, die so weit geschnitten ist, dass man sie für einen Rock hält. Gleichwohl erlaubt sie der Dame, sich frei und unbeschwert auf einem Fahrrad zu bewegen. Dazu trägt man eine leichte Bluse oder eine kurze Jacke.«
»Sehr schön!« Der Reklamechef klatschte in die Hände. »Ich sehe die Werbung schon vor mir: ›Damit die Frau von heute ihren Mann stehen kann.‹«
Der Direktor runzelte die Stirn und sah seinen Reklamechef verärgert an. Dann wandte er sich an Malu. »Das ist ja alles gut und schön. Aber für die junge, moderne Frau gibt es derzeit reichlich neue Modelle. Was ist mit der Dame in den besten Jahren? Auch sie will schick gekleidet sein und sich jung und schön fühlen. Haben Sie für die Dame ab vierzig auch etwas in Ihrem Programm?«
»Nein. Eigentlich nicht. Daran habe ich nie gedacht.«
Die Antwort kam so offen, dass der Direktor nachsichtig lächelte. »Na ja, es ist bestimmt sehr schwierig, Kleidung für ein Alter zu entwerfen, von dem man selbst noch Lichtjahre entfernt ist.«
Malu dankte für das Kompliment, aber in ihrem Herzen wuchs Scham, weil
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