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Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Titel: Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Winter
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schrecklich, du selbst zu sein?«
    Constanze zuckte mit den Schultern. »Die Person, die ich früher war, habe ich verloren. Zuerst im Krieg, später dann hier in Berlin. Von mir ist nichts mehr übrig, verstehst du? Die Leute mögen mich unter deinem Namen. Eine Pfarrerstochter hätten sie nie zu ihren Feiern eingeladen. Alles, was ich jetzt bin, bin ich durch dich. Du kannst es mir nicht wegnehmen, ohne mir mein Leben zu nehmen.«
    Malu zog die Stirn kraus. »Gut«, sagte sie nach einer Weile. »Es muss sich ja nichts ändern. Bleib, wer du sein möchtest. Mir ist es gleichgültig. Ich dachte nur, dass du womöglich eigene Pläne hast.«
    »Für jemanden wie mich gibt es keine eigenen Pläne. Frauen wie ich agieren nicht, sie reagieren bloß.«
    Malu zuckte mit den Schultern. Wieder hatte sie kein Wort von Constanze verstanden. Warum reagierten Frauen wie Constanze nur? Was hielt sie davon ab, das Leben in die eigenen Hände zu nehmen? Sie war es müde, sich zu streiten.
    »Dann bleibt alles, wie es ist«, erklärte sie und umarmte Constanze kurz. »Aber jetzt habe ich zu tun. Ich werde ein Automobil für uns kaufen. Ich brauche etwas, um meine Kleider zu transportieren. Und du wärest mit einem Automobil unabhängiger, wenn du nachts nach Hause kommst. Später kümmern wir uns um die neue, größere Wohnung. Ruppert kann meinetwegen die alte übernehmen.«
    Anschließend ging Malu nach Hause, während Constanze zurückblieb, um noch ein wenig allein im Park herumzuspazieren.
    Als Malu ihre Wohnung betrat, saß Ruppert am Küchentisch und bediente sich ohne Scheu an Malus Vorräten. Er trank den teuren Bohnenkaffee in rauen Mengen, rauchte Malus Zigaretten und schenkte sich von ihrem Wein ein.
    Malu setzte sich zu ihm. »Und was wirst du nun tun?«, fragte sie.
    »Wie? Was meinst du mit ›tun‹?« Ruppert sah sie überrascht an.
    »Wie stehen deine Geschäfte? Wovon willst du in Zukunft leben?«
    Ruppert verzog den Mund zu einem schmalen Strich. »Ist es dir zu viel, deinem Bruder ein paar Tage lang Gastfreundschaft zu gewähren?«
    Malu seufzte. Offenbar war heute ein Tag, an dem alle sie missverstanden. »Nein, es ist mir nicht zu viel. Aber ich habe Pläne. Und ich dachte, du hättest vielleicht auch welche. Wir müssen darüber sprechen, weil meine Pläne vielleicht nicht zu deinen passen.«
    Ruppert lehnte sich zurück, bediente sich ungeniert an Malus Zigaretten und lächelte gönnerhaft. »Was für Pläne hast du, kleine Schwester?«
    »Constanze und ich werden umziehen. Es gibt eine Wohnung in der Fasanenstraße, die nicht weit weg vom KaDeWe ist. Dort wäre Platz für ein kleines Atelier. Dazu kommen zwei Schlafzimmer und ein kleiner Salon, in dem die Anproben stattfinden werden. Du kannst, wenn du möchtest, ja diese Wohnung hier übernehmen.«
    »Du wirfst mich raus? Du setzt den eigenen Bruder tatsächlich auf die Straße?«
    »Aber nein, das tue ich doch gar nicht. Du kannst ja hierbleiben«, beeilte Malu sich zu sagen.
    Ruppert warf wütend seinen Löffel auf den Tisch. Zwei Kaffeespritzer verschmutzten die Decke. »Wann ziehst du um?«, fragte er.
    »In der nächsten Woche«, erwiderte Malu. »Aber darum geht es nicht. Du hast mir noch immer nicht gesagt, was du vorhast.«
    »Geschäfte. Export und Import. Ich werde Dinge aus Riga nach Berlin schicken und sie hier teuer verkaufen, und ich werde Güter aus Berlin nach Riga schicken und sie dort für gutes Geld verkaufen.« Er lächelte ein wenig verschlagen. »Wer weiß, wenn du dich schwesterlich beträgst, dann nehme ich am Ende sogar noch ein paar von deinen Fummeln in mein Programm.«
    »Wirst du die Wohnung hier übernehmen?«, fragte sie.
    Ruppert zuckte mit den Schultern. »Ich muss darüber nachdenken. Besonders nobel ist diese Gegend ja nicht. Und wenn du sogar ein Atelier für deine Flickereien benötigst, dann steht mir mindestens eine Büroetage in einem Handelshaus zu.«
    Malu stand auf. »Mach, was du willst. Nur sag mir rechtzeitig Bescheid.« Sie fühlte sich mit einem Mal so müde, als hätte sie einen riesigen Berg bestiegen. Sie war schon an der Tür, als Ruppert rief: »Du hast nicht ein einziges Mal nach deinem Janis gefragt. Willst du denn nicht wissen, wie es ihm geht?«
    Malu erstarrte. Sie hatte alle Gedanken an Janis verdrängen wollen, doch es war ihr nicht gelungen. Jeden Tag, jede Stunde tauchte sein Gesicht vor ihrem geistigen Auge auf. Wenn sie Einkäufe erledigte, glaubte sie oft, ihn irgendwo in der Menge zu

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