Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)
aufstand, den Knopf seines Jacketts schloss und Isabel von Ruhlow einen bitteren Blick zuwarf. Die aber zuckte nur leicht mit den Schultern.
Constanze beugte sich zu Malu hinüber und flüsterte: »Dafür liebe ich Isabel.«
Während Ruppert hinter der Bühne in seine Kampfmontur gesteckt wurde, wandte sich Malu an Isabel. »Sie wollten vorhin etwas sagen. Wir sind unterbrochen worden.«
Isabel nickte. »Wir sprachen über meine Freundinnen aus dem Tennisclub, nicht wahr? Nun, zu ihnen zählt auch Frau Jandorf. Ihrem Mann gehört das KaDeWe. Es könnte nützlich für Sie sein, Ihre Kreationen bei uns vorzustellen.«
Malu blieb für einen Augenblick der Mund offen stehen. »Warum tun Sie das für mich?«
Isabel schüttelte leicht den Kopf. »Ich tue es ja nicht für Sie, meine Liebe. Ich tue es für mich. Schon lange wollte ich mich einmal damit brüsten, ein Talent entdeckt zu haben.«
Hinter der Bühne tat sich etwas. Der Vorhang geriet in Bewegung, und es machte den Eindruck, als wäre der Kampf hinter dem roten Samt schon in vollem Gange. Der Stoff raschelte, mal zeigte sich an der einen, mal an der anderen Stelle eine Beule. Ein nackter Arm wurde sichtbar, und eine Männerstimme rief: »Aua!«
Einen Augenblick später trat der Conferencier mit schiefem Zylinder auf die Bühne. »Meine Damen und Herren, der große Augenblick ist gekommen. Ruppert von Zehlendorf tritt an gegen Olga, die Unerbittliche. Ich bitte um Ihren Beifall!« Er klatschte in die Hände, und das Publikum tat es ihm nach.
Die kecken Mädchen skandierten erneut Rupperts Namen und klatschten in die Hände.
»Ruppert! Ruppert!«
»Ruppert, du schaffst es! Zeig ihr, wo der Hammer hängt!«
»Meinst du, er gewinnt?«, fragte Constanze.
Malu schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht einmal, dass er kämpft. Er wird sich drücken.«
Schon rauschte der Vorhang zur Seite, und Ruppert trat neben Olga auf die Bühne. Er trug jetzt ebenfalls ein gestreiftes Badetrikot und grinste kläglich, als wisse er nicht, ob es eine Ehre oder eine Schande war, da oben zu stehen.
»Nett anzusehen ist er ja«, stellte Isabel fest und schnalzte so laut mit der Zunge, dass Ruppert es auf der Bühne hören musste.
Die Mädchen ergingen sich in Kommentaren zu Rupperts Körperbau. »Nicht schlecht«, erklärte die eine und leckte sich frivol die Lippen. »Den würde ich nicht von der Bettkante schubsen.«
»Ach was«, meinte eine andere. »Sieh dir nur diese Hühnerbrust an. Und mit seinen Armmuskeln ist auch nicht viel los. Den würde sogar ich besiegen.«
»Aber nicht auf der Bühne«, erwiderte die Erste, und beide Mädchen brachen in Gelächter aus.
Der Conferencier nahm den Schläger des Gonges in die Hand. »Sind Sie bereit für den Kampf?«
Olga, die Unerbittliche, neigte den Kopf, ballte die Fäuste und scharrte erneut mit den Füßen wie ein angriffslustiger Stier. Sie stieß ein so wildes Schnauben aus, dass Ruppert zurückwich.
»Sind Sie bereit?«, fragte der Conferencier erneut.
»Einen Augenblick!« Ruppert nahm ihm das Mikrophon aus der Hand und wandte sich ans Publikum. »Meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Aber allein der Gedanke, eine Dame zu schlagen, lässt mir die Haare zu Berge stehen. Die Kavaliere unter Ihnen werden mit mir fühlen. Ich verzichte also auf den Kampf und erkläre Olga, die Unterbittliche, zur Siegerin.«
Die Mädchen johlten enttäuscht. Lothar von Hohenhorst klatschte Beifall, doch an den anderen Tischen murrte und brummte es.
»Feigling«, rief jemand und buhte laut.
Lächelnd wandte sich Ruppert zum Bühnenausgang. Olga aber riss den Kopf hoch, schnaubte noch einmal wütend, und dann versetzte sie Ruppert einen derart heftigen Faustschlag auf die Nase, dass der Getroffene aufschrie. Sofort tropfte Blut auf die Bühnendielen.
»Elender Feigling!«, brüllte sie. »Ich hätte es dir schon gezeigt!« Hocherhobenen Hauptes schritt sie von der Bühne.
Einundzwanzigstes Kapitel
Berlin, 1922
R upperts gebrochene Nase heilte rasch, die Veilchen an beiden Augen verblühten, doch sein Ruf als feiger Kavalier stand so fest wie die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Dennoch hatte er in den Freundeskreis von Constanze Aufnahme gefunden, durchtanzte nun mit ihr die Nächte, kam manchmal allein, manchmal zusammen mit ihr im Morgengrauen nach Hause. Dann trug Malu ihre Nähmaschine in die Küche, schob den Tisch unter das Fenster und setzte sich, den Waschbeckenrand im Rücken, hin und
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