Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)
nähte, während die Nachtschwärmer ihren Rausch ausschliefen.
Constanze war in der letzten Zeit noch schmaler geworden, die Ringe unter ihren Augen wirkten noch dunkler. Malu sorgte sich um ihre Freundin und wollte ihr helfen.
Als die beiden eines Nachmittags zusammen ein paar Schritte den Kurfürstendamm entlangspazierten, sagte sie: »Du musst nun keine Reklame mehr für mich machen. Die Modenschau vor den Tennisdamen war ein großer Erfolg. Wir können uns jetzt sogar eine größere Wohnung nehmen. Morgen Nachmittag habe ich einen Termin bei Jandorf, dem Besitzer des KaDeWe. Ich werde ihm ein paar Entwürfe und einige fertige Kleider zeigen. Mein Geschäft läuft jetzt richtig an. Von jetzt an kannst du tun, was immer du möchtest.«
Malu hoffte, dass Constanze sich darüber ein wenig freuen würde. Sie wirkte so erschöpft, so müde und des ganzen Feierns so überdrüssig. Deshalb fügte Malu noch hinzu: »Ich bin dir auch nicht böse, wenn du zurück in die Heimat gehst.«
Constanze starrte sie nur mit großen Augen an. Sie schien geradezu entsetzt zu sein. Dann brach sie in Tränen aus.
Malu verstand nicht, warum Constanze so herzerweichend schluchzte. Hilflos stand sie neben ihr, tätschelte ihr den Rücken und fragte: »Was ist los mit dir? Sag mir doch, warum du weinst.«
»Du verstehst nichts. Gar nichts verstehst du!«
Malu nickte. Constanze hatte recht; sie verstand sie nicht. Seit der Ankunft in Berlin waren sie sich immer fremder geworden. Früher, während ihrer Kindheit auf dem Gut, da hatten sie zusammen gespielt, und jede hatte gewusst, was die andere gerade dachte. Auch später, vor allem im Lazarett, war es so gewesen. Sie hatten sich gegenseitig getröstet und einander Mut zugesprochen, während sie zusammen so unendlich viel Leid erleben mussten. Aber jetzt war alles anders. Ohne dass es Malu aufgefallen war, hatten sich die Rollen vertauscht. Constanze tat nicht so, als wäre sie Marie-Luise von Zehlendorf – sie war es. Sie war in diese Rolle hineingeschlüpft wie in einen Maßanzug. Und Malu hatte sich in eine Arbeiterin verwandelt. Von morgens bis abends saß sie an der Nähmaschine, zeichnete und schnitt und steckte ab. Aber Malu war glücklich dabei. Sie vermisste nichts.
»Was ist nur los mit dir? Wenn ich dir doch nur helfen könnte, glücklich zu sein.« Malu ließ die Arme hängen, seufzte und sah Constanze flehend an. »Sag mir doch, was mit dir ist. Und wenn ich es nicht verstehe, dann erklär es mir.«
»Du … du …« Constanze putzte sich die Nase, holte noch einmal ganz tief Luft. Dann brach es aus ihr heraus. »Du merkst es wirklich nicht, stimmt’s?«
»Was denn, um Himmels willen?«
Constanze sah Malu an, als wäre sie ein dummes Schulkind.
Vielleicht, dachte Malu in diesem Augenblick, bin ich das ja auch. Was weiß ich schon von der Welt? Ich sitze an der Nähmaschine, allein mit mir und meinen Gedanken, allein mit den Erinnerungen, und nicht fähig, nach draußen zu gehen und zu leben.
»Es ist der Name, Marie-Luise«, sagte Constanze mit Nachdruck. » Dein Name: Marie-Luise, Freiin von Zehlendorf.«
Malu machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ach. Das ist nur ein Name.«
»Eben nicht. Ich weiß das. Weiß es viel besser, als du es je wissen wirst.«
Malu seufzte. Sie hätte Constanze zu gern geholfen, aber noch immer wusste sie nicht, worum es eigentlich ging.
»Früher, da wusste ich immer, wer ich war. Verstehst du das?«
Malu nickte.
»Zuerst war ich die Pfarrerstochter, dann die Hauslehrerin, einmal sogar für eine kurze Zeit die Ehefrau, dann die Schwester im Lazarett. Und jetzt? Jetzt bin ich nichts, denn der Name, den ich trage, ist nur geborgt. Das Leben, das ich führe, ist nur geborgt. Jetzt willst du deinen Namen zurück. Was bleibt mir dann noch? Sicher, ich könnte zurück in die Heimat, zu meinen alten Eltern. Bestimmt würde ich eine Anstellung auf einem Gut finden. Aber ich habe mich hier verloren, bin nur noch die, die ich vorgebe zu sein. Malu von Zehlendorf. Wenn du mir das nimmst, dann bin ich gar nichts mehr. Verstehst du jetzt?«
Malu zögerte. »Ein bisschen.«
»Wenn du wieder zum Freifräulein wirst, verlierst du nichts«, erwiderte Constanze. »Du kannst weiter nähen, kannst deine Kleider vorführen, und jeder wird dich noch höher achten als jetzt. Ein Freifräulein, und noch dazu so ein geschäftstüchtiges. Wenn du mir aber den Namen wieder nimmst, so bleibt von mir nichts. Dann bin ich nichts.«
»Ist es so
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