Sehnsucht nach Wombat Hill: Australien-Roman (German Edition)
hochgezogen hatte er seine Nase in ihr Kissen vergraben, um die letzten Reste von Lucys Duft einzuatmen. Das erzählt er Jemma jedoch nicht, und auch nicht, wie er sich an Lucys Kuscheltuch geklammert hatte, dieses zerknitterte Stück Baumwolle, und geweint hatte, bis es vollgesogen war.
Jemma starrt das Bett an, das Gotardo und sie einst geteilt haben. Sie lässt sich auf dem Patchworkquilt nieder, den ihre Schwiegermutter für sie gemacht hat. Ihre Hand gleitet unter das Kissen auf ihrer Seite des Betts. Es ist, wie sie gedacht hat. Ihr Nachthemd, ordentlich gefaltet, wartet es auf ihre Rückkehr.
Sie blickt zu ihm hoch. »Warum hasst du mich nicht?«
»Du glaubtest, keine Wahl zu haben.«
Das ist zu viel, zu wohlmeinend. Sie hatte ihm auf unerträgliche Weise wehgetan und kann sich doch nicht zurückhalten. »Ich hatte eine Wahl, Gotardo.« Ihre Stimme zittert vor Schuldgefühlen und einem unbegreiflichen Drang, ihm die Wahrheit ins Gesicht zu schleudern. »Und ich entschied mich dafür wegzugehen.«
Gotardo zuckt zusammen. »Tu das nicht, Jemma. Ich gebe nicht vor, ein Heiliger zu sein.« Es gab Momente, viele Momente, da hasste er sie, da war der Hass so groß, dass er die Liebe verschlang. Aber wenn er dann O’Brien mit seinem verbitterten Gesicht durch die Stadt schwanken sah, da wusste er, wenn er sich von der Wut beherrschen ließe, wäre er nicht besser als O’Brien. Verbittert bis ins Innerste.
Er bricht das Schweigen mit einem tiefen Seufzer. »Ich wollte das nicht zulassen. Nicht deinetwegen habe ich aufgehört zu hassen. Es war meinetwegen.«
»Du hast mir verziehen?«
»Was es zu verzeihen gab. Wie konnte ich mir ein Urteil anmaßen, wenn mir doch selbst nach Weglaufen zumute war?«
»Aber du bist geblieben.«
»Und du bist zurückgekommen.«
Die Uhr auf dem Kaminsims hebt zu einem langsamen Rasseln an und schlägt dann einmal. Ruckartig wendet sich Gotardos Kopf dem Fenster zu, das auf seinen Weingarten zeigt. »Willst du mit mir hinausgehen?«
Er nimmt eine seiner dicken Schaffelljacken von der Garderobe und hält sie ihr hin. Verloren in den schweren Falten seines Mantels folgt Jemma ihm durch die Hintertür. Im Licht des Mondes und der Laterne sieht sie, dass sich etwas verändert hat. Im einst offenen Weideland reihen sich die Weinreben bis hinunter zum Wald. Gotardo geht auf sie zu und kniet neben einem Haufen aus Stroh und Erde nieder. Er zündet diesen an und sorgt dafür, dass er weiterschwelt, ehe er zum nächsten Haufen geht, der ein Stück weiter liegt, und auch mit diesem so verfährt. Bald schon hängt eine Rauchwolke wie ein riesiger Flaschengeist über der ganzen Weinplantage. Er sagt ihr, er müsse bis zum Sonnenaufgang draußen bleiben und dagegen ankämpfen, dass der Frost die Schösslinge vernichtet. Sie aber solle hineingehen und etwas schlafen.
Aber Jemma ist nicht nach Schlafen zumute. Sie verfolgt, wie er von einem Haufen zum nächsten geht und stochert, wenn die Glut nachlässt, oder einen frischen Haufen entzündet, wenn einer heruntergebrannt ist. Ihr ist klar, wie froh er ist, etwas mit seinen Händen tun zu können. Bei ihrer Ankunft hatte sie nicht gewusst, was sie tun wollte. Sie wusste einzig und allein, dass sie Gotardo sehen und mit ihm über Lucy sprechen und dann Lucys Grab sehen musste. An die Zukunft hatte sie nicht gedacht, weil sie weder davon auszugehen wagte, er werde sie zurückhaben wollen, noch wusste, ob sie bleiben wollte.
Er kommt zwischen den Reihen der Reben auf sie zu, sein stämmiger Körper mit dem langen Bart und den ruhigen dunklen Augen wirkt eckig in seinem schweren Ledermantel. Er geht zum Holzschuppen und kommt mit einem Arm voller Holz und Kienspäne zurück, um damit ein Feuer aufzuschichten, das sie selbst wärmen soll. Als die Flammen lodern, verweilt Gotardo ein wenig. Er sieht sie über das Feuer hinweg an und beginnt von seinen Plänen für die Weingärten und die Weine zu erzählen, die er herzustellen hofft, wenn die neuen Reben erst mal Früchte tragen. Er redet von Pinot grigio und Syrah und moussierendem Frontignac und einer neuen kolonialen Sorte namens Australian White Cluster, entwickelt aus den Schösslingen, welche die Söhne von John Macarthur gezogen haben. Es werde wohl eine Weile dauern, bis sich damit Handel treiben lässt, aber in der Zwischenzeit werde er für Pliny arbeiten und auf diese Weise ihren Lebensunterhalt verdienen. Milch zu machen sei nichts anderes gewesen wie Brot backen, denn da habe er
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