Sehnsucht unter suedlicher Sonne
Tragisches erlebt, und wieder andere sorgen für einen Verwandten oder ihre kranken Eltern und finden keine Gelegenheit zum Heiraten. Darüber sollte man sich nicht lustig machen. Und jetzt muss ich weiterarbeiten.“ Bei den letzten Worten imitierte Genevieve Hesters hochmütigen Ton. „Miss Trevelyan wird gleich herunterkommen.“
„Der muss ich nicht begegnen“, erklärte Liane und eilte hinaus.
In der Nacht wachte Genevieve mitten in einem Traum auf. Sie rieb sich die Augen und richtete sich halb auf. Mondlicht fiel durch das Fenster herein. Es war eine märchenhaft schöne Nacht und so hell, dass Genevieve die beiden Schatten an ihrem Fußende zu erkennen meinte. Sie flößten ihr keinen Schrecken ein, im Gegenteil. Sie schienen in dem silberweißen Licht zu schweben und sie zu beschützen.
Genevieve hatte von Catherine geträumt. Das kam häufiger vor, denn sie beschäftigte fast ständig ihre Gedanken, aber diesmal hatte sie jemanden bei sich gehabt – eine andere blonde Frau. Eingehakt wie zwei Freundinnen, waren sie vor ihr hergegangen, doch als sie die beiden ansprach, waren sie auf einem steilen Weg verschwunden.
Der Traum ließ Genevieve nicht mehr los. Er ängstigte sie, und sie hörte, wie ein Name gerufen wurde, immer derselbe, aber sie konnte ihn trotz aller Anstrengung nicht verstehen. Klang er wie Cat? Wie Catherine?
Im Gegensatz zu sonst wurde sie die Bilder nicht los, denn Catherine und die andere blonde Frau hatten offenbar versucht, ihr etwas mitzuteilen. Bis jetzt konnte sie die Botschaft jedenfalls nicht verstehen. Sie hörte im Traum oft Namen, die sie nicht verstand und die ihr am Morgen plötzlich einfielen.
Inzwischen war Genevieve hellwach. Der Mond schien nicht mehr ins Zimmer, dafür breitete sich die Morgendämmerung wie leuchtender Nebel aus. Unten im Garten trällerte ein Vogel sein erstes Lied. Bald würden tausend andere mit einstimmen und das Morgenkonzert der Wildnis beginnen.
Sie war im Outback. Auf Djangala . Sie musste aufstehen und nach Bretton sehen. Hoffentlich hatte er das Haus noch nicht verlassen. Seine Tage begannen meist mit dem ersten Lichtstrahl. Sie wusste jetzt, welchen Namen sie im Traum gehört hatte:
Kit. Christopher.
Christopher Wakefield, Sondras verzweifelter Ehemann, befand sich in Gefahr. Das hatte ihr der Traum sagen wollen. Er hatte durch den tragischen Tod seiner jungen Frau so sehr den Boden unter den Füßen verloren, dass er nicht mehr leben wollte.
Genevieve verließ ihr Zimmer und hastete den Korridor entlang zur Treppe. Das rote Haar flog ihr um den Kopf. Sie hatte sich keine Zeit zum Anziehen genommen und nur schnell einen zartgrünen, mit Goldstickerei verzierten Kaftan übergestreift. Ihre Füße waren nackt.
Wunderbarerweise hatte Bretton das Haus noch nicht verlassen. Er stand an der offenen Tür – zusammen mit Liane. Sie schien hitzig auf ihn einzureden. Genevieve hatte sich am Abend zuvor mit Arbeit entschuldigt und war nicht zum Essen erschienen. Hester war ebenfalls auf ihrem Zimmer geblieben, wie Nori ihr verraten hatte.
„Bretton!“, rief Genevieve so laut, wie sie konnte.
Er drehte sich um und sah sie kommen. Der hauchzarte Kaftan schmiegte sich eng an ihren Körper. Sie erschien ihm wie eine Nymphe auf einem romantischen Bild, die bei ihm Schutz suchte. Ihrer Miene nach war sie in großer Bedrängnis. Was wollte sie von ihm?
„Was ist los, Genevieve?“, erkundigte er sich.
„Mit mir gar nichts“, keuchte sie, „aber ich muss dir etwas erzählen …“ Ihr flehender Blick war nur auf ihn gerichtet.
„Stimmt bei der noch alles?“, fragte Liane. Genevieves seltsamer Aufzug zu so früher Stunde machte sie wütend. Die brave Ghostwriterin war nicht wiederzuerkennen. Und dann ihr offenes Haar! Wer war diese Genevieve Grenville überhaupt? Welche Absicht verfolgte sie? Ein kalter Glanz erschien in Lianes hellblauen Augen. Sie musste umgehend Nachforschungen über diese sogenannte Ghostwriterin anstellen.
Genevieve legte Bretton eine Hand auf den Arm. „Ich habe geträumt …“
„Oh, wir haben eine Hellseherin unter uns!“, höhnte Liane.
„Kit Wakefield befindet sich in Gefahr. Er könnte Selbstmord begehen.“
„Genevieve“, mahnte Bretton, während er ihr behutsam übers Haar strich, „du kennst Kit doch gar nicht.“
„Sondra hat es mir mitgeteilt.“
Liane brach in abfälliges Gelächter aus. Sie ertrug es nicht, dass Bretton Genevieves Haar berührte. „Sie sprechen mit Geistern? So ein
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