Sehnsuchtsland
Ärztin winkte und beschleunigte ihre Schritte, bis sie Linda erreicht hatte. »Kind, du bist zurück!« Lachend schloss sie die Tochter ihres ältesten Freundes in die Arme und drückte sie liebevoll an sich. »Was für eine Freude!« Sie schob Linda ein Stück weg und betrachtete sie aufgeregt lächelnd. »Hast du deinen Vater schon gesehen?«
Linda senkte den Kopf. »Ich hätte mir den Weg sparen können. Er ist immer noch wütend.«
Greta hob die Brauen. »Ich kenne deinen Vater schon sehr lange.« Sie lächelte. »Wesentlich länger als du. Ich weiß, wie schwer es ihm fällt, seine Gefühle zu zeigen.«
»Er hat mir seine Gefühle gezeigt«, versetzte Linda bitter. »Er hasst mich!«
Greta schüttelte leicht den Kopf, und Linda glaubte, in ihren Augen einen Ausdruck leichter Belustigung festzustellen.
»Er ist verletzt, Linda. Das musst du verstehen.« Sie nahm Lindas Hand. »Lauf nicht wieder weg, Kind.«
»Ich wüsste nicht, wieso ich hier bleiben sollte.«
»Wieso?« Greta wandte sich erstaunt zu ihr um. »Weil es an der Zeit ist, dass ihr euch versöhnt!« Ein bittender Tonfall trat in ihre Stimme. »Linda, wirf die Tür, die du gerade aufgemacht hast, doch nicht gleich wieder zu!«
Linda blickte niedergeschlagen in die Richtung, aus der sie vorhin gekommen war. Wenn man genau hinschaute, konnte man das Anwesen ihrer Familie durch die Bäume schimmern sehen.
»Denk wenigstens drüber nach«, sagte Greta.
Linda umarmte sie mit spontaner Herzlichkeit. »Du bist so lieb! Weiß Papa eigentlich, was er an dir hat?«
Greta lachte. »Ach, weißt du, mit alten Freundinnen der Familie ist das so eine Sache. Man hat sie gerne um sich und denkt irgendwann nicht mehr darüber nach, warum eigentlich.« Sie legte Linda den Arm um die Schultern. »Aber reden wir nicht mehr über mich. Es geht um dich und deinen Vater, hm? Gib ihm ein bisschen Zeit, und dann versuchst du es einfach noch einmal. Er ist dein Vater. Auch wenn er es dir nicht sagen kann — er braucht dich!«
Linda schloss kurz die Augen. Sie wollte so gern glauben, was Greta ihr erzählte. Wenn es wirklich stimmte, könnte alles so einfach sein. Zumindest, soweit es nur sie und ihren Vater betraf. Doch es ging nicht nur um sie beide, und das war das eigentliche Problem.
Stumm schaute sie über Gretas Schulter hinweg hinunter in die stille Bucht.
*
Lennart bückte sich über das Loch im Erdhügel und lobte die Hunde, weil sie den Eingang zum Fuchsbau gefunden hatten. Er hatte die beiden seit anderthalb Jahren, und sie versprachen ausgezeichnete Jagdhunde zu werden. Es machte Spaß, mit ihnen durch den Wald zu streifen, den Geruch frischer Erde einzuatmen, dem Spiel des Sonnenlichts auf dem torfigen Boden zuzusehen und dabei einfach die Ruhe des Waldes zu genießen.
Die Begegnung mit seiner Tochter hatte ihn stärker aufgewühlt, als er irgendjemandem gegenüber hätte zugeben mögen. Nicht einmal er selbst hatte zuerst wahrhaben wollen, wie sehr es ihn mitnahm, sie nach all den Jahren wiederzusehen. Die Hilflosigkeit, die Wut darüber, dass sie ihn damals einfach im Stich gelassen hatte mit allem — das fraß immer noch wie Säure an ihm. Doch es war ihm auch ans Herz gegangen, sie so erwachsen und ernst vor sich zu sehen. Sie schien sich verändert zu haben, auch in ihrer Persönlichkeit. Sie hatte reifer und souveräner auf ihn gewirkt als früher.
Doch das änderte nichts daran, dass sie ihr eigenes Leben gewählt hatte, weit weg von ihm und der Werft.
Er verdrängte die unwillkommenen Gedanken, was mit einem Mal wesentlich einfacher war als noch vor ein paar Augenblicken, denn soeben war Greta in seinem Blickfeld aufgetaucht. Sie schritt unter den hohen Bäumen den Weg entlang und ging dann unter dem von grünen Ranken überwucherten Laubengang auf ihn zu.
»Da bist du ja!« Sie kam näher, und im grünen Zwielicht des Waldes sah sie wieder einmal bezaubernd jung und schön aus, wie Lennart fand. Grantig dachte er, dass das Leben doch ungerecht war. Er selbst entdeckte ständig neue Verfallszeichen an sich selbst, und diese Frau schien einen Trick zu kennen, mit dessen Hilfe sie immer jünger und hübscher zu werden schien.
In sich hineingrinsend schüttelte er den Kopf, hauptsächlich über sich selbst, dann tätschelte er die Hunde und ließ sie von der Leine. »Na, macht schon, ihr beiden!«
Sie preschten los und sprangen mit gewaltigen Sätzen rechts und links an Greta vorbei, die vergnügt auflachte angesichts dieses
Weitere Kostenlose Bücher