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Sehnsuchtsland

Sehnsuchtsland

Titel: Sehnsuchtsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inga Lindström
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mit Nils’ funkelnagelneuem Daimler dort vorzufahren. Der Wagen machte ganz schön was her. Er war zwar nur geleast, aber das wusste ja außer ihr, Nils und der Bank niemand. Sie rutschte auf die Fahrerseite und startete den Wagen. Ein paar Mal war sie schon damit gefahren, aber es war immer noch ungewohnt und aufregend, die vielen PS unter der Motorhaube zu kontrollieren.
    Trotzdem hatte sie ein mulmiges Gefühl, als sie den Wagen stadtauswärts lenkte. Nicht wegen der bevorstehenden Fahrt, sondern weil sie nicht wusste, was sie zu Hause erwartete.

    *

    Alles wirkte seltsam vertraut, fast so, als wäre sie erst gestern das letzte Mal hier gewesen. Die lang gestreckte Bucht mit den felsigen Inseln entlang der Küste, die kleinen Dörfer mit den roten Holzhäuschen direkt am Wasser, die Hänge mit den dichten Wäldern, in die sich die ersten Herbstfarben mischten.
    Als sie an der verkrüppelten kleinen Birke vorbeikam, wanderten ihre Blicke unwillkürlich nach rechts. Sie befand sich bereits auf Thorwaldsson-Land , und hier hatte sie früher immer...
    »Das gibt’s doch nicht«, murmelte sie ungläubig, während sie hastig auf die Bremse trat. Sie fuhr an den Straßenrand und hielt an.
    » Fjäril !« Es war tatsächlich ihr Pferd. Sie hätte es unter tausenden erkannt, weil es in ganz Westschweden vermutlich keinen einzigen anderen Schecken mit einer derartig auffälligen gefleckten Zeichnung gab. Gunilla hatte ihn meist abfällig Dalmatiner genannt, was aber Lindas Liebe zu dem Wallach nicht im Mindesten hatte beeinträchtigen können.
    Linda stieg aus und ging hinüber zum Gatter. Sie öffnete es und schlüpfte auf die Weide. Der Schecke kam angetrottet und drückte sein Maul gegen ihre streichelnde Hand. » Fjäril «, flüsterte sie. »Kennst du mich noch?«
    »Er scheint Sie zu mögen«, sagte eine Männerstimme hinter ihr.
    Linda fuhr herum und erstarrte. Sie merkte, wie das Blut von ihren Gliedmaßen zum Herzen strömte und ihr die Knie weich wurden, etwas, das ihr, soweit sie sich erinnern konnte, vor langer Zeit das letzte Mal passiert war. Damals war sie acht gewesen und beim Klettern vom Baum gefallen. Krampfhaft hielt sie sich an Fjärils Zaumzeug fest und starrte den dunkelhaarigen Mann an.
    »Henrik«, stieß sie hervor.
    Er musterte sie einen Moment lang sichtlich irritiert, doch dann erkannte er sie. »Linda!«, rief er überrascht. »Du bist das! Ich wusste gar nicht, dass du kommst!«
    Sie riss sich zusammen. » Hej «, sagte sie gespielt fröhlich. »Es ist ein spontaner Besuch. Ich wollte Papa überraschen.«
    Henrik kam näher. Nur am Rande nahm Linda wahr, dass er einen Sattel über dem Arm trug und dass er Reitstiefel anhatte. Ihr Herz klopfte wie rasend, und sie merkte mit jedem folgenden Atemzug, dass vier Jahre eben in mancher Beziehung doch nicht lang genug waren.
    Sie hatte fast vergessen, wie groß er war. Er war der einzige Mensch, neben dem sie sich klein und zierlich vorkam, obwohl sie für eine Frau eher groß war mit ihren einsfünfundsiebzig und ihrer Meinung nach immer gut fünf Kilo zu viel wog.
    Sein weißer Wollpullover hob die Sonnenbräune seines Gesichts hervor und betonte das klare Bernsteingelb seiner Iris. Das Haar trug er kürzer als früher, und in seinen Augenwinkeln standen ein paar Fältchen mehr als damals, doch davon abgesehen hatte er sich nicht verändert. Er hatte immer noch diese kleine Lücke zwischen den Vorderzähnen, die seine Gesichtszüge leicht verschmitzt wirken ließ, und auch seine Oberlippe hatte noch denselben sinnlichen Schwung wie vor vier Jahren.
    »Schön, dich zu sehen!« Henrik legte den Sattel ab und schaute sie eingehend an. Er schien ehrlich erfreut zu sein. Lächelnd deutete er auf den Wallach. » Fjäril hat nie verstanden, wieso du ihn einfach verlassen hast. Und ich, ehrlich gesagt, auch nicht.« Er hielt inne und suchte ihren Blick, während er näher kam und dicht bei ihr stehen blieb. Zu dicht für ihren Seelenfrieden.
    Linda holte Luft und lächelte unsicher. »Ich... Also, ehrlich gesagt, habe ich nicht erwartet, dich hier zu sehen. Bist du nicht normalerweise um diese Zeit in der Werft?«
    »Ich reite ihn jeden Morgen, bevor ich ins Büro gehe.«
    »Du?« Linda runzelte ungläubig die Stirn.
    Er zuckte die Achseln. »Einer muss es ja tun. Er war richtig depressiv, als du plötzlich nicht mehr gekommen bist. Gunilla mag ihn nicht, und dein Vater wollte ihn verkaufen. Na ja, da habe ich mich eben um ihn gekümmert.« Er

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