Sehnsuchtsland
zauberhaft romantisch fand. Die Terrasse war ausreichend groß und schien direkt über dem Wasser zu schweben, umgeben von hohen alten Bäumen, moosigen Felsen und blühenden Büschen.
Linda blieb stehen. Von irgendwoher schien plötzlich Musik zu kommen. Sie klang wie aus einer anderen, weit entfernten Welt und war doch ganz nah.
Es war ganz einfach, sich ihr zu überlassen. Linda musste nur die Augen schließen, und es war wieder Sommer, so wie in jener Nacht vor vier Jahren.
Die Gäste waren gegangen, auf den Tischen standen noch jede Menge schmutziges Geschirr und benutzte Gläser. Der CD-Player lief, Musik wehte über die Terrasse und hinaus auf den See. In den rußigen Gläsern flackerten die fast heruntergebrannten Windlichter, die Linda löschen würde, sobald sie und Henrik mit Aufräumen fertig waren. Gunilla war mit den anderen gefahren, sie brauchte ihren Schönheitsschlaf, schließlich wollte sie am nächsten Tag in der Kirche gut aussehen. Und sie hatte gut ausgesehen, eine wunderschöne, strahlend glückliche Braut.
Doch dies war die Nacht davor, eine traumgleiche, von Musik erfüllte Nacht voller magischer Geheimnisse.
Henrik war gut aufgelegt, vielleicht war er ja glücklich, weil er sich auf den kommenden Tag freute, vielleicht hatte er aber auch nur ein paar Gläser zu viel getrunken.
Er nahm Linda den Tellerstapel aus der Hand, stellte ihn zur Seite und umfasste ihre Taille. Er schwenkte sie herum, zog sie in seine Arme und wiegte sich mit ihr im Takt der Musik. Dies war der Moment, in dem sie sich an ihn gepresst hatte. Und endgültig verloren war.
Sie hatte ihn schon vorher geliebt, natürlich hatte sie das gewusst. Mit zwanzig war ein Mädchen alt genug, um sich über solche Gefühle im Klaren zu sein. Doch nichts hatte sie darauf vorbereitet, dass sie ihn mit so verzweifelter Sehnsucht begehren würde, auf eine archaische, hitzige Weise, die sie jenseits aller Vernunft plötzlich wünschen ließ, er würde sie ins Haus zerren und sie dort einfach nehmen.
Linda erschauerte, in der Erinnerung und in der Realität.
»Ist dir kalt?« Seine Stimme war wie ein warmer Hauch neben ihrem Ohr, und sie schüttelte den Kopf, damals wie heute.
Doch er hatte sie bereits losgelassen und die rote Decke geholt, die über einer der Bänke hing. Er legte sie ihr um die Schultern und zog sie erneut an sich, schlang die Arme um sie, umhüllte sie mit der Decke und seiner Körperwärme.
Linda fuhr zusammen und riss sich gewaltsam aus der Vergangenheit. Das alles war lange her und vorbei. Ein harmloser, netter Tanz mit ihrem beschwipsten Schwager, nichts weiter.
Sie drehte sich zur Hütte um und betrachtete nachdenklich die Tür, bevor sie, ohne großartig darüber nachzudenken, die Hand ausstreckte und mit den Fingern über den schmalen Sims fuhr, der oberhalb der Fensterfront verlief.
Zu ihrer Überraschung war der Schlüssel tatsächlich da oben, so wie früher, als sie selbst noch regelmäßig zum Schwimmen, Faulenzen und Übernachten hierher gekommen war.
Ohne zu zögern, schloss sie die Tür auf und betrat das Häuschen.
Ihr erster Blick fiel auf die rote Decke, die ordentlich zusammengefaltet auf einem Sessel lag. Linda nahm sie, ließ sie auseinander fallen und legte sie sich um die Schultern wie ein Indianer. Der Wollstoff roch frisch, die Decke war vor nicht allzu langer Zeit gewaschen worden.
Linda schmiegte die Wange gegen die weiche Wolle, dann drehte sie sich langsam um die eigene Achse und sah sich mit stetig wachsender Verblüffung um. Das Häuschen wirkte eindeutig bewohnt! Die Fenster waren nicht nur von außen sauber, sondern auch von innen. Und nicht nur das — der Fußboden war geschrubbt, Tisch, Stühle und Bänke waren frei von Staub, und überall lagen hübsche neue Kissen herum, die es hier früher noch nicht gegeben hatte.
Dafür waren die Muscheln noch da. Ihre ganze Sammlung lag auf der Fensterbank, alles, was sie im Laufe ihrer Kindheit aus dem Meer geholt und hier hergeschleppt hatte, um es für immer aufzuheben. Linda nahm die größte von ihnen in die Hand, ein besonders schönes Exemplar, mit braunen Flecken auf weißem Grund. Sie hielt sie ans Ohr, so wie früher in der albernen Hoffnung, ein Rauschen zu hören. Doch natürlich hatte sich seit damals nichts geändert. Die Muschel war immer noch stumm.
Als hinter ihr die Tür aufging, fuhr sie erschrocken herum. Linda schluckte hart, um die plötzliche Trockenheit in ihrer Kehle loszuwerden, als sie Henrik sah.
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