Sehnsuchtsland
kam auf sie zu, zwei große, kräftige Jagdhunde an der Leine. Linda sah sie zum ersten Mal, sie schienen noch relativjung zu sein. Er hatte immer Hunde für die Jagd gehabt und machte im Freien kaum einen Schritt ohne sie.
»Linda?« Lennart schien bei ihrem Anblick unmerklich zurückzuprallen. Sein Gesicht zeigte einen harten Ausdruck.
» Hej , Papa.«
Er sagte nichts, starrte sie einfach nur an.
»Wie geht es dir?« Linda kam es vor, als ob sie gegen eine Mauer redete. Sein Blick war kühl, seine Miene reglos.
»Du siehst gut aus«, versuchte sie es erneut. Das war eine Lüge, er sah ganz und gar nicht gut aus, im Gegenteil. Die Haut unter seinen Augen war geschwollen und von blauen Äderchen durchzogen, und außerdem war er so unnatürlich bleich, dass kein Zweifel daran bestehen konnte, wie angegriffen er in Wirklichkeit war.
»Mir geht es gut«, sagte Lennart förmlich. »Und dir?«
Linda lächelte gezwungen. »Prima. Ich habe Examen gemacht, und ich habe einen tollen Job im Schifffahrtsmuseum.« Sie hob trotzig den Kopf. »Und ich werde heiraten. Deswegen bin ich hier. Ich wollte dich zu meiner Hochzeit einladen.«
Überraschung blitzte in seinen Augen auf, aber Freude war es nicht. Stattdessen schien sein Gesichtsausdruck eher noch frostiger zu werden.
»Du bist vor vier Jahren weggelaufen, ohne eine Erklärung«, sagte er emotionslos. »Deine Beweggründe hatten mich nicht zu interessieren.« Er richtete sich auf und zog die Hundeleinen straffer. »Ich kann mir nicht vorstellen, was ich auf deiner Hochzeit verloren hätte.«
Linda starrte ihn bestürzt an. »Papa!« Impulsiv machte sie einen Schritt auf ihn zu. »Bitte, es tut mir alles so Leid! Ich weiß, dass ich dich verletzt habe, aber ich wollte das nicht! Ich...«
»Du hast die Werft im Stich gelassen«, unterbrach er sie mit schneidender Stimme.
»Ich musste einfach weg! Ich habe hier keine Luft mehr bekommen!« Sie hob beschwörend die Hände. »Es war der reine Selbsterhaltungstrieb!«
Ihr Vater schnitt ihr mit einer harten Handbewegung das Wort ab. »Ich nenne das Egoismus!«
»Ich erwarte ja nicht, dass du mich verstehst!« Sie sprach lauter, als könne sie ihn so besser überzeugen. »Aber kannst du mir nicht verzeihen? Glaubst du denn, es wäre mir leicht gefallen, einfach alles hinter mir zu lassen? Manchmal hatte ich solche Sehnsucht nach dir und der Werft, dass ich es kaum noch ausgehalten habe!«
Lennart musterte sie unbewegt. »Es war deine Entscheidung. Du hast es so gewollt.«
Linda fühlte, wie ihr Tränen in die Augen schossen. Sie hatte damit gerechnet, dass er sich knurrig zeigen würde, das hatte er früher schon gut gekonnt. Aber diese unversöhnliche Ablehnung hatte sie nicht erwartet.
»Bitte, Papa! Ich würde so gern einen neuen Anfang machen! Ich... Ich möchte, dass du an meinem Leben teilnimmst...« Ihre Stimme verlor sich.
»Dein Leben, Linda... interessiert mich nicht mehr.«
Mit diesen Worten ging er davon und ließ sie einfach stehen. Linda starrte ihrem Vater hinterher. Unbeugsam, den Kopf hoch erhoben und die Hunde fest an der Leine führend, ging er über den Kiesweg weiter in Richtung Wald.
Sie drehte sich weg, weil sie den Anblick der davonstapfenden Gestalt nicht länger ertragen konnte. Blicklos schaute sie über die Bucht. Das W7asser glitzerte unter der wolkenlosen Bläue des Himmels wie Stahl, und der Wind, der vom Meer kam, brachte einen spürbaren Hauch von Kälte mit sich. Linda schlang die Arme um ihren Oberkörper, um das plötzliche Frösteln zu vertreiben. Dann ging sie zurück zum Wagen, um wieder nach Göteborg zurückzufahren.
*
Knapp einen Kilometer vom Anwesen der Thorwaldssons entfernt führte eine Abzweigung in den nächst gelegenen Ort. Statt weiter geradeaus zu fahren, bog Linda rechts ab und hielt ein paar hundert Meter weiter vor der alten Kirche an. Von hier aus waren es nur ein paar Schritte zu jener verträumten kleinen Bucht mit dem Sommerhäuschen, wo sie damals Gunillas Hochzeit gefeiert hatten.
Linda blieb stehen, unschlüssig, ob sie weitergehen sollte. Es würde die Situation sicher nicht verbessern, wenn sie eine Reise in die Vergangenheit machte. Die Erinnerungen waren schön, das ja. Aber sie taten auch weh.
Sie wollte bereits wieder zum Wagen zurückgehen, als sie jemanden näher kommen sah, der ihr bekannt vorkam. Das rote Haar, das elegante, rostfarben gemusterte Schultertuch...
Sie stieß einen erfreuten kleinen Aufschrei aus. »Greta!«
»Linda!« Die
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