Sehnsuchtsland
Hej «, sagte sie mit zittriger Stimme.
» Hej .« Lächelnd kam er näher und deutete auf die Decke. »Ist dir kalt?«
Seine Frage klang genau wie damals. Nur dass die Stimmung nicht dieselbe war. Linda fühlte, wie Hitze ihr Gesicht überflutete. Noch nie war ihr etwas so peinlich gewesen. Verlegen streifte sie die Decke von ihren Schultern und legte sie über einen Stuhl.
»Was machst du hier?«, fragte Henrik.
Er war viel zu nah bei ihr. Linda trat einen halben Schritt zurück und versuchte vergeblich, gelassen dreinzuschauen. »Früher war das Häuschen mein Zufluchtsort. Wenn mir die Familie auf die Nerven ging, habe ich mich hier verkrochen.«
In manchen Jahren fast den ganzen Sommer über, fügte sie in Gedanken hinzu. Unter der Woche hatte sie sich tagsüber meist in der Werft aufgehalten, aber an den Wochenenden war die Hütte ihr erklärtes Refugium gewesen.
Henrik wirkte erstaunt. »Das wusste ich gar nicht! Ich dachte, dass niemand das Haus benutzt.« Er lachte leise. »Da habe ich es besetzt.«
»Vor wem verkriechst du dich hier?«, fragte Linda mit einem leisen Anflug von Aufsässigkeit. »Doch nicht vor Gunilla?«
Er versuchte es offenbar als Scherz zu nehmen, denn er lächelte. Doch Linda hatte den Eindruck, dass er nicht sonderlich amüsiert über die Bemerkung war.
Er sah sie offen an. »Es ist gut, wenn man einen Ort hat, an dem man seine Ruhe haben kann. Meine besten Entwürfe sind hier entstanden.«
Damit hatte er bei ihr einen besonderen Nerv getroffen. Sie strahlte ihn begeistert an. »Du bist ein hervorragender Designer geworden! Deine Yachten haben alle einen so... so aufregenden Schwung! Sie wirken schon auf den ersten Blick schnittig und voller Dynamik!«
Henrik erwiderte verdutzt ihren Blick. »Du kennst meine Arbeit?«
»Jedes Schiff, das du entworfen hast«, antwortete sie bereitwillig.
»Ich wusste nicht, dass du dich immer noch dafür interessierst.«
»Du weißt so manches nicht«, erwiderte sie leichthin.
Er trat einen Schritt näher und überbrückte die Entfernung zwischen ihnen, um ihr direkt in die Augen zu schauen. Linda hatte plötzlich panische Angst, er könnte sie anfassen. Sobald er das tat, würde etwas passieren, was niemand von ihnen beiden mehr kontrollieren konnte. Irgendetwas geschah in diesem Augenblick zwischen ihnen beiden, und sie bildete es sich ganz gewiss nicht ein. Diesmal war nicht nur sie allein an dem Vorgang beteiligt, sondern er ebenso. Es war wie eine unsichtbare elektrische Verbindung, von der Funken aufstoben.
Sie fühlte das vertraute Schwächegefühl in den Knien, als sie das bernsteingoldene Funkeln seiner Iris sah. Vielleicht wäre alles nur halb so schlimm, wenn er nicht solche Augen hätte, sagte sie sich tapfer. Doch dann schüttelte sie innerlich den Kopf. Es war der ganze Mann, der sie aus der Ruhe brachte. Sein Gesicht, seine Hände, sein Mund...
Linda wandte sich ab und tat so, als würde sie sich in der Hütte umschauen. »Ich habe übrigens Gunilla in Göteborg getroffen. Sie sah absolut toll aus.«
»In Göteborg?« Er wirkte irritiert. Zögernd setzte er hinzu: »Ja, kann sein, sie wollte einen Kunden treffen.«
Linda nickte, dann fragte sie beiläufig. »Geht es euch gut?«
»Ja, natürlich.« Seine Antwort kam eine Spur zu hastig. Diesmal war Linda diejenige, die irritiert war. Rasch wandte sie sich ab, um erneut die Muschel von der Fensterbank zu nehmen. »Weißt du noch?« Sie schaute aus dem Fenster. »Euer Polterabend...«
Als er nichts sagte, fuhr sie versonnen fort: »Alle waren schon weg, nur wir beide wollten noch aufräumen.«
»Ich glaube, wir waren nicht sehr effektiv«, sagte er belustigt.
Sie spürte mit all ihren Sinnen, dass er näher kam, und als er dicht hinter ihr stehen blieb, bekam sie kaum noch Luft.
»Es war irgendwie unwirklich«, murmelte er. »Plötzlich war es, als wären wir aus der Welt gefallen. Nur wir zwei... Die Musik. Und das Meer...«
Linda hatte die Augen geschlossen, aber sie sah das Bild dennoch so deutlich vor sich, als ob ein Film vor ihr ablief.
»Und dann hast du plötzlich deine Schuhe genommen und bist einfach gegangen.« Sein leises Lachen war wie rauer Samt. »Und ich durfte alles allein aufräumen.«
Linda drehte sich zu ihm um. »Das war gemein von mir«, gab sie zu. Ihr Lächeln fiel ein wenig atemlos aus. Dann wurde sie unvermittelt ernst. »Aber vielleicht war es besser so. Es war... zu gefährlich.«
Viel zu gefährlich, fügte sie in Gedanken hinzu. So wie
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