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Sehnsuchtsland

Sehnsuchtsland

Titel: Sehnsuchtsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inga Lindström
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betrachtete sie eingehend. »Du siehst toll aus! Geht es dir gut?«
    Linda sonnte sich für einen Moment in seiner Bewunderung. Sie wusste mittlerweile, dass sie auf die meisten Männer aus für sie kaum nachvollziehbaren Gründen ziemlich anziehend wirkte, aber nur bei Henrik hatte sie dieses seltsame Kribbeln gespürt, das sie von Anfang an hatte glauben lassen, dass sie tatsächlich attraktiv war. Bei anderen Männern, einschließlich Nils, hatte sie immer ein vages Gefühl der Unzulänglichkeit und haderte mit ihren Fehlern. Entweder fand sie ihre Nase zu lang, ihre Hüften zu breit oder ihren Mund zu groß. Vor ein paar Jahren hatte sie sich die Mühe gemacht, kurzzeitig eine Therapie anzufangen, und die Erkenntnis, die sie bereits nach den ersten Sitzungen gewonnen hatte, bestand darin, dass ihre Minderwertigkeitsgefühle einem unbewältigten Kindheitskonflikt entstammten. Vielen Dank, Herr Doktor, aber das hätte ich auch von allein rausgekriegt. Auf der einen Seite die große Schwester, ein schlanker, blonder Traum, beliebt, fröhlich, im Einklang mit sich und der Welt. Auf der anderen Seite: Linda, das Trampeltier. Zu groß, zu schwerfällig, zu still.
    So hatte sie sich immer gefühlt. Bis Henrik aufgetaucht war.
    »Es geht mir sehr gut«, platzte sie heraus. »Ich werde heiraten.«
    Zwischen seinen Brauen entstand eine winzige Falte. »Wirklich? Herzlichen Glückwunsch.«
    »Danke.«
    Sie schwiegen sich kurz an, und Linda streichelte wie aus einem Reflex heraus Fjärils Kruppe. Dann trat sie unvermittelt einen Schritt zurück. »Ich muss los.«
    Entschlossen drehte sie sich um und ging zurück zum Wagen.
    »Wie lange bleibst du?« Henrik hielt Fjäril beim Zaumzeug und schaute ihr nach. »Sehen wir uns noch?«
    Linda hob die Schultern. »Ich weiß nicht.« Sie nickte ihm zu und zog den Wagenschlüssel hervor. »Wiedersehen, Henrik!« Ihre Stimme klang lässig, aber in ihrem Inneren herrschte der reinste Aufruhr. Sie war froh, dass Henrik sich dem Pferd zuwandte, um ihm die Zügel anzulegen. So konnte er wenigstens nicht sehen, wie heftig ihre Hände beim Offnen der Wagentür zitterten.
    Während sie den Zündschlüssel drehte, warf sie einen Blick in den Innenspiegel. Sie war blass, und ihre Augen waren schreckhaft geweitet. Beim Anfahren hätte sie um ein Haar den Motor abgewürgt, als sie aus den Augenwinkeln mitbekam, dass Henrik ihr nachwinkte. Sie gab Gas, denn sie hatte es plötzlich sehr eilig, von ihm wegzukommen. Erbittert sah sie seine Gestalt im Rückspiegel kleiner werden, und sie wusste dabei ohne jeden Zweifel, dass sich seit damals nicht das Geringste geändert hatte.

    *

    Als Linda kurz darauf den Wagen in der Einfahrt abstellte, fragte sie sich ernsthaft, was sie hier verloren hatte. Es war ein Riesenfehler gewesen, herzukommen, das hatte ihr die Begegnung mit Henrik schlagartig klar gemacht. Es war völlig ausgeschlossen, dass sie länger blieb, denn anderenfalls musste sie damit rechnen, dass sie ihm gleich heute noch einmal über den Weg lief. Schließlich gehörte er zur Familie und wohnte hier.
    Während sie ausstieg und die Fahrertür des Daimler zuwarf, legte Linda sich ihr weiteres Vorgehen zurecht. Sie würde ihren Vater kurz sprechen, ihm ihre Einladung überbringen und dann wieder fahren.
    »Linda!« Frida kam aus dem Haus gestürzt, die Arme ausgestreckt und das Gesicht in heller Aufregung verzogen. »Was für eine Freude! Du bist nach Hause gekommen!«
    Linda lachte und umarmte die Haushälterin herzlich. Sie hätte nicht gedacht, sie hier noch vorzufinden, Frida musste inzwischen reichlich über fünfundsechzig sein, auch wenn sie sich nicht sehr verändert hatte. Sie trug ihr graues Haar immer noch in einem strengen Nackenknoten und die übliche gestärkte weiße Schürze über einem anthrazitfarbenen Kleid. Linda konnte sich kaum erinnern, Frida je anders gesehen zu haben als in ihrem üblichen Dienstmädchenlook, in dem sie schon seit fast fünfundzwanzig Jahren hier bei den Thorwaldssons arbeitete.
    »Geht’s dir gut?«, fragte Linda.
    Frida nickte und wischte sich ein paar Freudentränen aus den Augenwinkeln. »Weißt du was? Ich werde heute Abend dein Lieblingsessen kochen! Krebssuppe, gebeizten Lachs und zum Nachtisch Preiselbeercreme * ! Was hältst du davon?«
    Linda nickte lächelnd, dann holte sie tief Luft. »Frida, ist mein Vater da?«
    »Hinten im Garten. Da kommt er gerade.«
    Während Frida eilig im Haus verschwand, drehte Linda sich zögernd um. Ihr Vater

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