Sehnsuchtsland
verspielten Überschwangs.
Lennart ging Greta entgegen. »Sie machen sich sehr gut, obwohl sie noch so jung sind.«
Sie küsste ihn auf die Wange und hakte sich bei ihm ein, und gemeinsam machten sie sich auf den Rückweg zum Haus.
»Ich habe gerade auf dem Weg hierher Linda getroffen«, erzählte sie.
»Aha«, sagte er vorsichtig. Mehr nicht. Lennart hielt es für besser, die ganze Geschichte nicht auszuwalzen. Er wollte nicht über seine Tochter reden. Es war nicht einfach für ihn gewesen, sie wiederzusehen, und es tat immer noch weh. Doch er würde irgendwann darüber hinwegkommen, wenn er sich nur oft genug sagte, dass es nötig sei. Dies war immer noch die beste Methode, um unliebsame Gefühle loszuwerden. Darin war er gut.
Davon abgesehen richtete sich sein ganzes Augenmerk momentan auf die nähere Zukunft, genauer gesagt, auf das bevorstehende Abendessen und die Ankündigung, mit der er die Familie — einschließlich Greta — überraschen wollte. Danach würde er ganz von vorne anfangen, sofern das für einen alten, verbrauchten Kerl wie ihn überhaupt denkbar war.
Für Greta schien das Thema noch nicht erledigt zu sein. »Linda wünscht sich nichts sehnlicher, als dass du ihr verzeihst.«
Als Lennart schwieg, fuhr sie fort: »Sie ist erwachsen geworden. Und sie geht ihren Weg. Du solltest lernen, das zu akzeptieren.«
Das konnte Lennart nicht einfach so stehen lassen. »Sie war die Begabte«, sagte er aufgebracht. »Sie hat die Werft geliebt! Hatte ein Gespür fürs Geschäft!« Er hielt inne, Enttäuschung im Blick. »Es gab keinen Zweifel, dass sie meine Nachfolge übernehmen sollte. Und was hat sie getan, als ich ihr die Geschäftsleitung übertragen wollte?« Er hieb mit der Faust in seine offene Hand. »Weggelaufen ist sie!«
Greta nahm seinen Arm und drückte ihn begütigend an sich. »Sie hatte ihre Gründe.«
»Was sollte es für Gründe geben, die Familie im Stich zu lassen? Und die Firma! So etwas tut man einfach nicht!«
»Nun sei doch nicht so bitter, Lennart. Sie ist doch deine Tochter. Und ich weiß, wie sehr du sie vermisst!«
Er starrte stur geradeaus. »Ich habe damals nächtelang gegrübelt, was ich verkehrt gemacht haben könnte. Ich hätte alles getan, um sie hier zu behalten!«
»Aber nun ist sie wieder hier«, sagte Greta sanft. »Stoß sie nicht von dir!«
Lennart wandte ihr sein verbittertes Gesicht zu. »Kannst du mir garantieren, dass sie mich nicht noch einmal enttäuscht?«
Greta legte beide Arme um ihn und lehnte ihre Stirn gegen seine Brust. »Wieso machst du es dir so schwer?«
Anstelle einer Antwort starrte er über ihren roten Schopf hinweg in die Tiefen des Waldes.
*
Linda war doch in die kleine Bucht hinuntergegangen. Wider besseres Wissen, aber sie hatte es getan.
Ein kurzer Blick nur, hatte sie gedacht. Was konnte es schaden, mal eben dort vorbeizuschauen? Eine oder zwei Minuten, und dann wäre sie auch schon wieder weg. Niemand bekam es mit, außer ihr selbst. Und anschließend würde sie nach Göteborg fahren und ihre Erinnerungen mitnehmen. Und dann so schnell wie möglich versuchen, alles für immer zu vergessen.
Als sie den Steg entlangging, der zu dem Häuschen am Wasser führte, klingelte ihr Handy. Sie zog es aus der Tasche, wie erwartet war es Nils.
»Wie war’s mit deinem Vater?«, wollte er wissen.
»Nicht so gut. Ich erzähle es dir, wenn ich zu Hause bin.«
»Ich wollte gleich losfahren und zu dir kommen.«
»Nicht nötig, ich bin praktisch schon auf dem Weg zurück.«
»Na gut, dann bis später. Fahr schön vorsichtig!«
Sie verabschiedete sich und trennte die Verbindung. Nils’ Stimme hatte deutlich erfreut geklungen, sei es wegen der Aussicht, so unverhofft zusätzliche Zeit für Mandantengespräche gewonnen zu haben, sei es, weil Lindas Rückkehr ihn der Notwendigkeit enthob, mit dem Zug fahren oder sich bei irgendwem einen Wagen borgen zu müssen.
Linda schob das Handy zurück in ihre Tasche und ging zögernd weiter. Das Haus lag am Hang, ganz am Ende des Stegs, halb verborgen hinter dicken Baumstämmen und urwüchsig sprießenden Büschen. Rein äußerlich war es unverändert, abgesehen davon, dass der Anstrich im Laufe der Jahre ein wenig verblasst war. Die große Fensterfront zum Wasser hin machte sogar einen überraschend sauberen Eindruck. Ob sich jemand um das Haus kümmerte? Gunilla hatte es nicht sonderlich gemocht, und sie hatte auch nur deshalb ihren Polterabend hierher verlegt, weil sie die Kulisse der Bucht so
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