Sehnsuchtsland
jetzt. Linda wandte sich ab, um zur Tür zu gehen. Sie hatte noch keine zwei Schritte getan, als sie am Handgelenk gepackt wurde.
Er hielt sie fest und zog sie zu sich heran. Seine Blicke nagelten sie fest, sie konnte sich nicht mehr rühren. Hitze flammte zwischen ihnen auf wie bei einem frisch entfachten Feuer. Linda schaute ihn entsetzt an und bewegte die Lippen, doch sie brachte keinen Laut hervor. Ruckartig riss sie sich los und lief zur Tür. Ihr Herz raste wie Donner, als sie die Hand auf den Knauf legte. Sie hätte ihn einfach nur zu drehen brauchen, dann noch einen Schritt tun müssen und noch einen, und sie wäre draußen gewesen, außer Gefahr. Doch sie schaffte es nicht.
Wie eine Marionette an ihren Fäden drehte sie sich wieder zu ihm und suchte seinen Blick. Seine Augen waren leuchtend goldgelb wie bei einem sprungbereiten Tiger. Linda spürte, wie Erregung in ihr aufstieg, sich von ihrer Mitte her in ihr ausbreitete wie flüssiges Feuer.
Sie tat einen Schritt auf ihn zu, dann einen weiteren, und die restliche Entfernung überbrückte er selbst, indem er die Arme ausstreckte, sie bei den Schultern packte und sie heftig an sich zog. Er presste sie gegen seine Brust, und Linda keuchte in einer Mischung aus Begierde und Angst auf, als ihr Gesicht gegen seinen Hals gepresst wurde. Sie atmete seinen sauberen männlichen Geruch ein und spürte sein Verlangen an ihrem Körper wie ein Brandmal.
Als er in ihre Haare fasste und ihren Kopf zurückbog , kam sie mit einem Ruck in die Wirklichkeit zurück. Bestürzt riss sie sich von ihm los und wich abermals zur Tür zurück. »Ich gehe jetzt«, sagte sie tonlos. »Ich hätte nicht kommen dürfen, es war ein Fehler. Wiedersehen, Henrik.«
Er machte eine Bewegung, als ob er sie hindern wollte, einfach so zu verschwinden. Doch diesmal hielt sie nichts mehr.
Von Panik erfüllt, stieß sie die Tür auf und rannte hinaus. Draußen stolperte sie über eine Wurzel und wäre um ein Haar lang hingeschlagen. Sie fing sich im letzten Moment und zog ihre verrutschte Jacke zurecht, bevor sie über den Steg in Richtung Straße verschwand.
Henrik war reglos stehen geblieben und atmete heftig aus und ein. Er konnte nicht fassen, was da gerade geschehen war. Hatte er den Verstand verloren? Oder hatte ihn ein Anfall von verfrühter Midlife-Crisis heimgesucht?
Nein, dachte er gleich darauf in mitleidloser Selbsterkenntnis. Es war genau dasselbe passiert wie schon vor vier Jahren. Er war im Begriff gewesen, sich vollkommen lächerlich zu machen. Zum Glück war sie damals rechtzeitig abgehauen, und heute genauso. Sonst lägen sie jetzt wahrscheinlich da drüben auf dem Sofa, nichts zwischen sich als die Hitze ihrer Körper.
Sie hatte nichts von ihrer Anziehungskraft verloren, im Gegenteil. Schon als er sie heute Morgen an der Koppel getroffen hatte, war er kaum fähig gewesen, seine Hände bei sich zu behalten.
Er wusste nicht, was ihn mehr verstörte. Diese plötzliche Aufwallung von blinder Begierde einer Frau gegenüber, die ja immerhin seine Schwägerin war, oder die Tatsache, dass es ihn anscheinend immer nur bei ihr in dieser Form erwischte. Wenn man es genau nahm, kannte er sie kaum. Gunilla hatte ihn damals erst drei Wochen vor der Hochzeit das erste Mal ihrer Familie vorgestellt. Er hatte ihrem Vater zwei Anstandsbesuche abgestattet, und schon beim zweiten Mal hatte Lennart ihm den Posten in der Werft angeboten. Er hatte gleich anfangen können, und dabei hatte er auch Linda kennen gelernt und ein paar Mal mit ihr geredet. Wenn er sich heute gegenüber ehrlich war, hatte sie ihn schon damals unglaublich fasziniert, doch in dem ganzen Trubel um die Hochzeitsvorbereitungen und die Umstellungen wegen seines neuen Jobs hatte er das gut verdrängen können. Dann war auch schon der Polterabend gewesen, das erste und einzige Mal, dass sie miteinander allein waren.
In jener Nacht hätte er beinahe etwas Unverzeihliches getan, doch zum Glück war sie rechtzeitig gegangen. Er hatte seine verrückte amouröse Anwandlung auf den Alkohol und die romantische Musik geschoben, doch vorhin hatte er begriffen, dass dasselbe unheilvolle Feuer zwischen ihnen brannte wie damals, und diesmal waren weder Nat King Cole noch Wein im Spiel.
Henrik biss die Zähne zusammen, während er mit Riesenschritten aus der Hütte marschierte und zur Straße zurückging, wo sein Wagen stand. Heute sah er um einiges klarer als damals, und er wusste nach dieser letzten Begegnung mit Linda, dass er sich in
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