Sehnsuchtsland
kannst mir glauben, dass es mir nicht leicht fällt, diesen Schritt zu tun.«
Lennart hieb krachend seine Faust auf den Tisch. »Dann lass es einfach!«
Gunilla fuhr zusammen, hob aber gleich darauf in einer aggressiven Geste das Kinn und schaute ihrem Vater kühl in die Augen. »Ich kann nicht anders. Ich liebe John. Und ich werde mit ihm leben. Es tut mir Leid!«
Sie stand so hastig auf, dass ihr Stuhl gegen das Vertiko hinter ihr knallte. Ein paar Augenblicke später war sie mit großen Schritten aus dem Zimmer gestürmt.
Henrik stand langsam auf, nach außen hin die Ruhe in Person. Er stellte sein Glas ab und nickte Greta und Lennart zu. »Ihr entschuldigt mich«, sagte er mit formvollendeter Höflichkeit, bevor er ebenfalls den Raum verließ.
Er fand sie oben in ihrem gemeinsamen Schlafzimmer, wo sie reglos mitten im Raum stand und ein altes Foto anstarrte, das sie zusammen mit ihren Eltern und Linda zeigte. Es war kurz vor dem Tod ihrer Mutter aufgenommen worden.
Als sie ihn hereinkommen hörte, stellte sie das Bild weg und wandte sich mit kämpferischer Miene zu ihm um. »Es tut mir Leid, Henrik. Wenn ich gewusst hätte, was Papa für eine Bombe platzen lässt, hätte ich natürlich vorher mit dir geredet. Ich wollte wirklich nicht, dass du es so erfährst.«
Er blieb in der offenen Tür stehen, in sicherer Entfernung zu ihr, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben.
»Wie lange geht das schon?«
Sie senkte den Kopf, bis ihr helles Haar wie ein seidiger Vorhang über ihr Gesicht fiel. »Ein halbes Jahr.«
Sie hatte eine Spur zu lange gezögert mit der Antwort. Henrik wusste sofort, dass sie log. Ein Jahr kam eher hin. Wenn nicht noch länger. Aber das änderte auch nichts an der Situation.
Sie schaute ihn an. »Henrik, ich wollte das nicht, glaub mir! Ich habe mich wirklich gewehrt!«
Er unterdrückte ein bitteres Auflachen. »Und wann hättest du es mir gesagt? Zwei Minuten vor deiner Abreise?« Er merkte, dass Wut in ihm hochkochte , langsam, aber dafür umso heftiger. »Gunilla, verdammt noch mal! Wir sind bald seit fünf Jahren zusammen, und du willst dich einfach so davonschleichen!«
In ihren Augen zeigte sich ein Hauch von schlechtem Gewissen, doch dann schob sie trotzig das Kinn vor. »Erinnerst du dich, wann wir das letzte Mal richtig Spaß miteinander hatten?«
Henrik musterte sie mit zusammengekniffenen Augen. Komisch, wieso sagte sie das jetzt? Wie kam sie darauf? Es war genau dieselbe Frage, die ihm vorhin im Speisesaal durch den Kopf gegangen war!
Gunilla breitete die Hände aus. »Ich meine... wann waren wir zuletzt richtig ausgelassen und fröhlich?« Sie schüttelte den Kopf. »Wir hatten doch immer weniger gemeinsam. Du hast dich in die Arbeit vergraben, und ich...«
»Du hast dir einen Liebhaber gesucht«, fiel er ihr zynisch ins Wort. »Tolle Arbeitsteilung.«
Sie verzog genervt den Mund. »Vielleicht sind wir einfach nicht die Richtigen füreinander.«
»Oder vielleicht haben wir einfach nicht genug für unsere Ehe getan.« Er merkte, wie angriffslustig seine Worte klangen, und Gunillas alarmierter Gesichtsausdruck zeigte ihm augenblicklich, dass sie genau wusste, worauf er hinauswollte. Sie hasste es, wenn er davon anfing, und er hasste es, dass sie jedes Mal mit dieser kalten Ablehnung darauf reagierte. Doch er konnte nicht anders, als es erneut anzuschneiden, es war wie ein innerer Zwang. »Wir hätten ein Kind haben sollen.«
Sie fuhr auf wie unter einem Schlag. »Henrik, bitte!« Frustriert und verärgert schaute sie ihn an. »Ich weiß, dass du enttäuscht bist, dass wir keine Kinder haben, aber...«
»Ja, das bin ich«, unterbrach er sie. »Für mich hätten Kinder unbedingt dazugehört! Ich wollte eine Familie! Ich wollte ein Heim schaffen, in dem sich unsere Kinder sicher und geborgen fühlen können! Aber du...«
Sie schnitt ihm das Wort ab. »Ich habe andere Träume. Meinst du, es wäre richtig gewesen, ein Kind zu bekommen, nur um unsere Ehe zu kitten? So etwas kann doch niemals gut gehen!« Sie hielt inne, dann ging sie widerstrebend auf ihn zu und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ich wollte dir nicht wehtun.«
Er wich ihrer Berührung aus und wandte sich abrupt ab, um aus dem Zimmer zu gehen.
*
Linda fühlte die Erschöpfung bis in die Knochen, als sie die Wohnungstür aufschloss. Am liebsten hätte sie sich sofort ins Bett verkrochen und die Decke über den Kopf gezogen. Sie wollte allein sein, nachdenken, schlafen — einfach nur sie
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