Sehnsuchtsland
Arbeit erledigt, und du könntest trotzdem...«
Aufbrausend fiel er ihr ins Wort. »Die Werft in andere Hände geben und zusehen, was passiert?« Er presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen. »Das kann ich nicht.«
Sie fühlte sich plötzlich sehr hilflos. »Ich wünschte, ich könnte irgendetwas tun.«
Ein zögerndes Lächeln erhellte sein verkniffenes Gesicht. »Du bist hier, bei mir. Das ist schon eine Menge.«
»Du weißt, dass ich alles für dich tun würde, Lennart.«
»Dann begleite mich an den Tornetræsk-See «, entfuhr es ihm.
Als sie ihn erstaunt anblickte, grinste er plötzlich wie ein ungezogener Junge. »Ich bin ein kranker Mann, du kannst mich unmöglich allein lassen!«
Greta lachte auf, ein wenig atemlos, weil er so unerwartet charmant aussah, wenn er auf diese Weise lächelte. »Ich kann dich unmöglich so eine anstrengende Reise unternehmen lassen. Jedenfalls nicht, bevor nicht klar ist, was mit dir los ist. So sieht es aus.«
»Du wirst mich nicht hindern.«
»Ich verstehe dich nicht«, sagte Greta leicht verärgert. »Wieso sind deine Wurzeln so viel wichtiger als deine Nachkommen?«
»An meine Wurzeln habe ich keine Erwartungen«, sagte er schlicht. »Sie können mich nicht enttäuschen.«
Greta gab es fürs Erste auf. Ihr Blick wanderte hinunter zum Ufer. Lichtreflexe huschten über die gekräuselte Wasseroberfläche, sonst war dort unten nichts zu sehen. Der Schwan, der vorhin noch beim Steg seine Bahnen gezogen hatte, war in der Zwischenzeit verschwunden.
*
Linda parkte den Wagen unweit der Hafeneinfahrt neben einem der typischen roten Häuschen, die sich beiderseits der Straße aneinander reihten. Der Ort lebte nicht nur vom aufstrebenden Tourismus und von der Thorwaldsson’schen Werft, sondern auch immer noch vom traditionellen Fischfang. Zwei Bewohner standen vor dem Haus und entwirrten in mühevoller Kleinarbeit ein Netz, ein anderer schleppte schweres Bootszubehör die Straße entlang.
Linda eilte in Richtung Hafen, wo Gunilla bereits vor dem Café auf sie wartete. Obwohl die kalte Jahreszeit vor der Tür stand, konnte man noch draußen auf der Terrasse sitzen und dabei die letzten angenehmen Sonnenstrahlen genießen.
»Ich bin froh, dass du angerufen hast!« Gunilla kam ihr freudestrahlend entgegen und drückte sie kurz, aber herzlich an sich. Linda versteifte sich unter der Umarmung.
»Sag mal, bist du eigentlich verrückt geworden?«
Gunilla hob die Brauen. »Wie bitte?« Sie ließ sich an einem Tisch dicht beim Wasser nieder und schaute Linda pikiert an. »Ich glaube, ich höre nicht richtig!«
Linda setzte sich ihr gegenüber auf einen Stuhl. »Du wirfst alles hin! Deinen Job, die Familie, deine Ehe! Wie kannst du so was machen!«
»Interessant, das gerade von dir zu hören!« Halb beleidigt, halb sarkastisch lehnte Gunilla sich zurück und schlug die Beine übereinander. »An wen hast du eigentlich damals gedacht, als du einfach so abgehauen bist? Dir war es doch völlig egal, was aus Papa wird! Oder aus mir und der Werft! Bloß weil du auf diesen Selbstverwirklichungstrip gehen musstest!«
Linda versuchte, das aufsteigende Schuldgefühl zu unterdrücken. Gunilla hatte Unrecht! Anders als sie hatte Linda vor vier Jahren gute Gründe gehabt, wegzugehen. Damals war es um sehr viel mehr gegangen. Sie hatte vor der Wahl gestanden, seelisch vor die Hunde zu gehen — oder woanders von vorne anzufangen.
Noch während sie das dachte, meldete sich eine boshafte Stimme in ihrem Inneren. Wieso sollte es bei Gunilla denn anders sein als damals bei ihr? Woher wollte sie das eigentlich so genau wissen? Wer erlaubte ihr, den Stab über ihre Schwester zu brechen? So etwas nannte man doppelte Moral!
Linda seufzte. »Gunilla, du hast doch alles, was man sich wünschen kann! Wie kann es irgend so ein Engländer wert sein, dass du dein Leben wegwirfst?«
Gunilla wurde wütend. »Was weißt du schon von meinem Leben? Von morgens bis abends hänge ich auf der Werft herum und plage mich mit exzentrischen Kunden, und während der übrigen Zeit muss ich mich damit abfinden, dass Henrik und ich uns nichts mehr zu sagen haben! Glaubst du, das ist der Wunschtraum für den Rest meines Lebens?«
»Aber die Werft!« Linda spreizte die Hände. »Sie ist mit unserer Familie doch untrennbar verbunden! Du kannst nicht zulassen, dass Papa sie verkauft! Gunilla!« Linda beugte sich vor und blickte ihre Schwester beschwörend an. »Sie gehört doch zu deinem Leben!«
»Soll ich
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