Sehnsuchtsland
betastete er immer wieder unbewusst seinen Kopf, um zu prüfen, ob noch alles in Ordnung war.
Lieber, eitler, überarbeiteter Nils! In einer Aufwallung von Zuneigung drückte Linda sich an ihn und küsste ihn sacht auf die Lippen. »Bis zur Oper bin ich auf jeden Fall zurück«, versprach sie, während sie ihre Jacke vom Garderobenhaken nahm. »Bis dann, Nils. Ich muss los.«
Als sie wenige Augenblicke später eilig die Wohnung verließ, fragte sie sich, woher auf einmal dieses komische, bedrohliche Gefühl kam, das sie nicht recht einordnen konnte. Erst auf der Treppe wurde es deutlicher. Es war die Vorahnung, dass sie unausweichlich auf eine Katastrophe zusteuerte.
*
Greta genoss die Herbstsonne, während sie den Strand entlangschlenderte . Sie liebte diese Jahreszeit beinahe noch mehr als den Frühling. Es hatte etwas Schicksalhaftes, wenn die Wälder begannen, sich zu verfärben, es war wie eine Anwandlung von Trotz, als wollten sie sich in ein besonders leuchtendes und farbenfrohes Gewand kleiden, um so dem nahenden Winter Paroli zu bieten. Greta mochte zudem die Symbolik, die hinter diesem Gedanken stand. Verlust, Verfall und schwindende Schönheit lagen im System der Natur, niemand konnte sich ihnen auf Dauer widersetzen. Aber hin und wieder kleine Fluchten, die vom vorgegebenen Weg wegführten, wenn auch nur ein Stückchen weit und auch höchstens vorübergehend — wer konnte das verbieten?
Und so tönte sie Jahr für Jahr ihr Haar in jenem kupfrigen Farbton, in den sich auch die Wälder hüllten, und sie wehrte sich weiterhin gegen die zunehmenden Anzeichen des Alters, auch wenn es sie jetzt, da sie im Begriff war, die Sechzig zu überschreiten, oft selbst mit leiser Belustigung erfüllte.
Ein Schwan glitt in der Nähe des Bootsstegs am Ufer entlang, den Hals stolz erhoben und das Gefieder makellos weiß im hellen Tageslicht — ein Bild perfekter Schönheit, scheinbar unvergänglich. Greta lächelte versonnen, dann bog sie ab und nahm den Weg hinauf zum Haus, wo Lennart soeben mit dem Interessenten hinaus auf die Terrasse trat. Sie hörte den Wortwechsel und verlangsamte ihre Schritte, damit Lennart die Verhandlungen in Ruhe beenden konnte.
»Es ist ein wunderbarer Besitz«, sagte der Besucher. Er hieß Ekelund und kam aus Göteborg, und er war nicht nur sehr reich, sondern suchte auch ständig nach Möglichkeiten, seinen Besitz Gewinn bringend zu vergrößern. »Sind Sie sicher, dass Sie sich wirklich davon trennen wollen, Herr Thorwaldsson ?«
Lennarts Gesicht war unbewegt. »Ich will einen sauberen Schnitt.«
Was in diesem Fall bedeutete, dass er nicht nur die Werft, sondern auch das Haus loswerden wollte. Das war die Bedingung, wie Greta wusste. Wer die Werft kaufte, musste auch das Haus übernehmen. Beide Posten standen natürlich in keinem Verhältnis zueinander, das Unternehmen war ein Vielfaches wert, obwohl das schöne alte Herrenhaus mit dem herrlichen Meerblick und dem ansehnlichen Waldstück auch nicht gerade ein Pappenstiel war. Doch im Vergleich zur Werft war es nur eine Art Dreingabe, für Ekelund kein Problem. Er würde es kaufen und weiterveräußern wie so viele andere seiner Besitztümer, oder er würde es einfach leer stehen lassen, wenn sich niemand fand, der es haben wollte. Er wollte die Werft, das Haus war ihm egal.
Greta seufzte innerlich, als Lennart sich von seinem potenziellen Nachfolger verabschiedete. Während Ekelund in seine Limousine stieg und davonbrauste, legte sie langsam den restlichen Weg zur Terrasse zurück.
»Dieser Ekelund scheint wirklich interessiert zu sein«, empfing Lennart sie.
Sie blieb neben ihm stehen und konstatierte, dass er schlechter aussah als am Vortag. In seinen Augen waren erneut Äderchen geplatzt, und seine Lippen zeigten einen ungesund bläulichen Ton. Wahrscheinlich hatte er keine einzige von den Tabletten eingenommen, die sie ihm gestern mitgebracht hatte. Er war ein unverbesserlicher, unbelehrbarer alter Sturkopf.
»Bist du sicher, dass du das Richtige tust?«, fragte sie. »Die Firma, das Haus — muss es denn gleich alles auf einmal sein? Warum lässt du dir nicht ein wenig Zeit?« Sie nahm seine Hand und schaute ihn eindringlich an. »Das sind große Entscheidungen, Lennart!«
»Glaubst du, es wird sich noch irgendetwas ändern?« Bitter schüttelte er den Kopf. »Es ist vorbei, Greta. Ich muss mich damit abfinden, dass mein Lebenstraum geplatzt ist!«
»Du könntest dir einen kompetenten Geschäftspartner suchen, der die
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