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Sehnsuchtsland

Sehnsuchtsland

Titel: Sehnsuchtsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inga Lindström
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Luxus war ihr nicht fremd, sie gab gerne viel Geld aus und freute sich an teurem Schmuck und kostspieliger Kleidung.
    Henrik parkte den Jeep in dem Fischerdorf unweit der Werft und ging den Steg entlang, der an dem felsigen Hang vorbei und hinauf zu dem Sommerhäuschen führte. Das Wasser platschte in kleinen Wellen gegen die hölzernen Pfeiler, und der Wind, der vom Wasser herkam, war bereits empfindlich kühl.
    Der Schlüssel lag an der gewohnten Stelle oben auf dem Sims über dem Fenster. Henrik betrat das kleine Holzhaus und fühlte sich augenblicklich ruhiger. Er zog die Jacke aus und warf sie nachlässig über die Sitzbank. Als er zur Stereoanlage hinübergehen wollte, um eine CD einzulegen, sah er die Muschel. Sie lag nicht wie sonst auf der Fensterbank, sondern auf dem Tisch. Henrik erinnerte sich plötzlich, dass Linda sie in der Hand hielt, als er sie letzte Woche so unerwartet hier angetroffen hatte.
    Er betastete sie vorsichtig und fühlte die seidige, kühle Glätte unter seinen Fingern. Gedankenverloren schaute er aus dem Fenster. Das weite Rund der Bucht breitete sich unterhalb der Hütte zu einem farbenprächtigen Panorama aus. Strahlend blaues Wasser, umrahmt von rostfarbenen Herbstwäldern und steingrauen Felshängen. Es war traumhaft schön, ein vollkommenes Bild, wie von einem begnadeten Landschaftsmaler geschaffen. Doch Henrik merkte, dass er im Begriff war, den Blick für diese herrliche Kulisse zu verlieren. Mit einem Mal fühlte er sich sehr allein.

    *

    Linda hatte über eine Stunde lang in den Unterlagen geblättert, die sie aus dem Museum mit nach Hause genommen hatte, doch als sie schließlich die Akte mit den Bestandslisten zuklappte, hatte sie den deutlichen Eindruck, dass so gut wie nichts davon bei ihr hängen geblieben war. Sie hätte sich gern eingeredet, dass es an der ungewohnten Materie lag oder daran, dass sie in der letzten Nacht kaum geschlafen hatte, doch da sie noch nie richtig gut darin gewesen war, sich etwas vorzumachen, gab sie es ziemlich schnell auf und akzeptierte stattdessen den wirklichen Grund für ihre mangelnde Konzentration.
    Entschlossen stand sie auf und ging hinüber zur Essecke, wo das tragbare Telefon auf dem Tisch lag. Sie tippte eine Nummer ein und wanderte anschließend unruhig durch das Zimmer, das Freizeichen im Ohr. Aus Gründen, über die sie im Augenblick nicht näher nachdenken wollte, machte das futuristische Ambiente des großzügig gestalteten Wohnraums mit dem offen angrenzenden Koch- und Essbereich sie nervös. Vielleicht lag es daran, dass es Nils’ Wohnung war. Er hatte sie nach seinen Idealen eingerichtet, alles war so, wie er es mochte. Modern, teuer, ein wenig steril. Linda atmete tief durch, als sich der Teilnehmer am anderen Ende meldete.
    »Ich bin’s«, sagte sie lauter als nötig. »Wo bist du? Können wir reden? Gut, um halb eins im Hafenrestaurant.«
    Sie hatte kaum die Verbindung getrennt, als Nils aus dem Bad kam. Sein Haar war feucht vom Duschen, er trug einen Bademantel und hatte ein großes Handtuch um die Schultern liegen.
    Linda holte eine Reisetasche aus dem Schrank und begann, wahllos ein paar Sachen hineinzuwerfen.
    Nils betrachtete sie erstaunt, während er sein Haar frottierte. »Du hast mir gar nicht gesagt, dass du verreist!«
    »Ich muss noch mal nach Hause. Da gibt es einiges zu klären.« Sie räusperte sich, dann ergänzte sie leichthin: »Mit meiner Familie.«
    »Wann kommst du wieder?«
    »Ich weiß nicht. Mehr als ein, zwei Tage werde ich sicher nicht brauchen.«
    »Aber du denkst an die Oper am Samstag, ja?« Nils machte keinen Hehl aus seiner Besorgnis. »Ich habe die Karten vor einem halben Jahr bestellt!«
    Linda zog ein Gesicht. Hin und wieder ging sie ganz gern in die Oper, aber Wagner war nun nicht gerade ihre Sache. Außerdem war Nils weniger auf die Musik erpicht als darauf, ein paar wichtige Kunden zu sehen und ihnen seine Präsenz beziehungsweise seinen Kunstverstand zu demonstrieren.
    »Du kannst den Wagen nehmen«, sagte er großmütig. »Aber fahr vorsichtig.«
    Sie legte ihm die Hand auf den Arm und rieb leicht darüber, weil sie ein vages Bedürfnis spürte, lieb zu ihm zu sein. Mit einer leisen Empfindung von Zärtlichkeit sah sie den kleinen kahlen Fleck an seinem Hinterkopf, den er beim Frottieren freigelegt hatte. Er glaubte immer noch, dass niemand davon wusste, und er verbrachte jeden Tag mindestens zehn Minuten damit, die blanke Stelle durch akkurates Kämmen zu kaschieren. Tagsüber

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