Sehnsuchtsland
sie hatte. Sie waren eher blond als braun, sodass ihre Länge nicht bei jedem Lichteinfall zu erkennen war.
Endlich hatte er es geschafft, die CD einzulegen, und Linda hob erstaunt den Kopf, als die Musik erklang.
»Swing? Das ist ja komisch!«
»Was ist daran komisch?« Er lächelte ein wenig unsicher. »Ich liebe diese Musik!«
Sie lachte. »Ich auch! Seit ich vor ein paar Jahren das erste Mal Nat King Cole gehört habe, komme ich nicht mehr davon los!«
»Gunilla findet es kitschig. Deswegen höre ich es auch immer nur hier.« Er nahm ihr die Tasse aus der Hand und stellte sie weg. Als er sie in seine Arme zog und sie im Takt der Musik zu wiegen begann, schaute sie ernst und ein bisschen erschrocken zu ihm auf.
Henrik hoffte inständig, sie möge nicht merken, dass er auf einmal zu zittern begonnen hatte wie ein halbwüchsiger Junge. Sein Herz raste, es hämmerte bis hinauf in seine Kehle, während Nat King Coles lyrischer Tenor die unvergesslichen Worte sang, genau wie damals vor vier Jahren, als er sie das erste Mal in den Armen gehalten und nicht begriffen hatte, was sie füreinander hätten sein können.
Heute wusste er es besser. Es war der schwerste Fehler seines Lebens gewesen, sie damals gehen zu lassen. Und, was viel schlimmer war, sie war ganz allein seinetwegen gegangen, das war ihm vorhin schlagartig klar geworden.
Let’s fall in love... why shouldn’t we fall in love, our hearts are made of it, let’s take a chance. Why be afraid of it... let’s close our eyes and make our own paradise...
Sein Mund war an ihrer Schläfe, glitt ihre Wange hinab, bis er mit den Lippen ihren Atem spüren konnte. Sie zuckte leicht zurück, als sein Kinn ihren Mundwinkel streifte, doch dann wandte sie ihm ihr Gesicht zu. Aus der Nähe war ihre Haut rosig und wie mit Goldstaub überhaucht. Fasziniert sah er, dass sich auf ihren Nasenflügeln eine Ansammlung zahlloser winziger Sommersprossen befand. Ihre Augen waren klar und so grün wie die einer Waldnymphe.
Er atmete mühsam ein, dann ein weiteres Mal, und dann presste er ohne Vorwarnung seinen Mund auf den ihren. Er verschlang ihre Lippen in einem Kuss von beinahe gewaltsamer Leidenschaft, und der Hunger, der ihn dabei erfüllte, reichte bis in die Grundfesten seiner Seele. Sie zerrte am Kragen seiner Wolljacke und zog ihn näher, während sie seinem Vorstoß mit fieberhafter Bereitschaft entgegenkam. Doch nur ein paar Herzschläge später widersetzte sie sich seiner Umarmung. Sie stemmte sich gegen seine Brust und riss sich los.
»Linda!«, stieß er hervor. »Bitte bleib hier!«
»Das ist nicht fair«, flüsterte sie. Ihr Gesicht war schneeweiß. »Nils liebt mich!« Sie ging ein paar Schritte rückwärts, dann drehte sie sich abrupt von ihm weg, nahm ihre Jacke vom Stuhl und riss die Tür auf. Durch die Fensterscheibe sah Henrik, wie sie im Laufen die Jacke überstreifte und zu der Kiefer rannte, wo sie das Pferd angebunden hatte. Im nächsten Moment hatte sie sich in den Sattel geschwungen und hieb dem Wallach die Fersen in die Flanken, in dem Bemühen, so schnell wie möglich wegzukommen. Gleich darauf preschte sie los, als ob der Teufel hinter ihr her wäre.
Little we know of it, still we can try, to make a go of it...
Henrik gab einen gotteslästerlichen Fluch von sich, während er zur Stereoanlage ging und Nat King Cole zum Schweigen brachte.
*
Gretas Haus hatte etwas von einer gepflegten Puppenstube, mit gelb blühenden Rosenstöcken im Vorgarten, einem weißen Lattenzaun, einem hölzernen Vordach und einer knallblau gestrichenen Haustür. Linda zögerte kurz, bevor sie anklopfte. Was ihr vorhin noch wie eine gute Idee vorgekommen war, schien ihr mit einem Mal überflüssig und dumm.
Dann erledigten sich ihre Überlegungen von allein, denn sie hörte, wie sich von drinnen über den Flur Schritte näherten. Im nächsten Moment öffnete die Ärztin die Haustür.
»Linda!« Überrascht und erfreut lächelte sie den unerwarteten Besuch an.
»Ich würde gern mit dir sprechen«, sagte Linda ein wenig steif.
»Gern! Komm rein!«
»Können wir ein paar Schritte gehen?«, bat Linda.
Greta hatte nichts dagegen. Rasch holte sie ihre Jacke und schlenderte anschließend mit Linda durch den Hafen.
»Ich weiß überhaupt nicht, was mit mir los ist!« Geistesabwesend schaute Linda an einem hölzernen Schiffsrumpf hinauf und überlegte dabei flüchtig, dass der Eigner die falsche Farbe genommen hatte. Sie zog Wasser und blätterte ab, und wenn man
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