Sehnsuchtsland
dir mal was sagen? Ich bin Industriekauffrau. Mir ist es im Prinzip völlig egal, was ich verkaufe. Yachten, Tiefkühltruhen, Autos. Es ist nur ein Job, Linda. Das Leben findet woanders statt.«
Linda saß für ein paar Sekunden wie erschlagen da. Sie empfand die Situation als surreal, sie kam sich vor wie im falschen Film. Gunilla hatte all das, was sie sich immer verzweifelt für sich selbst gewünscht hatte. Und es war ihr nichts wert. Für sie war Henrik jemand, den man mal eben en passant hinter sich ließ, und die Werft war nur ein beliebiger Job.
»Ich wusste nicht, dass du das so siehst«, meinte sie schließlich mühsam. »Ich dachte immer, du hängst genauso an der Werft wie...« Sie brach ab und verschränkte stumm ihre Finger.
»Da hast du falsch gedacht«, sagte Gunilla kühl. »Ich habe denjob nur gemacht, weil es nötig war.« Sie hielt inne, dann fügte sie mit einer Spur von Gehässigkeit hinzu: »Weil du plötzlich nicht mehr da warst.« Sie stand auf und machte Anstalten, einfach grußlos zu verschwinden. Linda erhob sich ebenfalls und folgte ihrer Schwester den Kai entlang. Die Holzplanken hallten unter ihren Schritten, als sie sich beeilte, um mit Gunilla Schritt zu halten.
»Was ist mit Henrik? Wie kannst du ihn verlassen? Ist es denn wirklich so schlimm?«
Gunilla hob die Schultern. »Keine Ahnung. Wir sind schon lange nur noch Freunde, die sich mögen. Aber mehr auch nicht.«
»Ich hätte nie gedacht, dass ihr mal aufhören könntet, euch zu lieben.«
Gunilla bedachte sie mit ironischen Blicken. »Ich fürchte, so etwas wie ewige Liebe gibt es nur im Märchen.«
»Nein«, widersprach Linda vehement. »Das glaube ich nicht!«
Gunilla drehte sich zu ihr um, Betroffenheit im Blick. »Entschuldige, Linda. Du wirst ja bald heiraten! Das war nicht nett von mir.« Sie legte ihre Hand auf Lindas Wange. »Dein Nils ist bestimmt der Richtige. Sicher werdet ihr beide niemals aufhören, euch zu lieben!«
Linda nickte mechanisch, doch sie hatte die Augen gesenkt, weil sie nicht wagte, ihre Schwester in diesem Moment anzusehen.
*
Der Weg zu den Stallungen war ihr so vertraut wie eh und je, es war beinahe, als wäre sie erst gestern das letzte Mal hier gewesen. Eine bunte Pferdedecke lag über der Bank vor dem Tor, und über dem Holzbock hing der Sattel zum Auslüften.
Der Geruch nach frischem Heu und Pferdedung lag in der Luft, als Linda die Stalltür öffnete und die Boxen entlangging. Fjäril schnaubte leise, als sie näher kam.
» Hej , mein Schöner!« Sie rieb sanft die Nüstern des Wallachs und hielt ihm dann auf der flachen Hand ein paar Zuckerstückchen hin, die sie vorhin rasch bei Frida in der Küche stibitzt hatte. »Tut mir Leid, dass ich so lange weg war«, murmelte sie, die Stirn gegen den Kopf des Pferdes gelegt. »Wie wär’s mit einem kleinen Ausritt, hm?«
Keine zehn Minuten später galoppierte sie den Strand entlang. Es ging ein frischer Wind, und eigentlich war ihre Jacke nicht warm genug, doch das war ihr egal. Um nichts in der Welt hätte sie auf dieses herrlich befreiende Gefühl verzichten mögen, endlich wieder im Sattel zu sitzen! Die Welt flog an ihr vorbei, es gab nichts außer den Wolken über ihr und das Trommeln von Fjärils Hufen im Sand.
Ohne nachzudenken, lenkte sie den Wallach hinüber zu der kleinen Bucht. Im Wald und den Hang hinauf zog sie die Zügel an und ließ ihn Schritt gehen, bis sie weiter vorn zwischen den Bäumen das Häuschen auftauchen sah. Unterhalb der Terrasse saß sie ab und schlang die Zügel um den Ast einer Kiefer, bevor sie die letzten Schritte zum Haus hinaufstieg.
Sie hatte gehofft, er möge da sein, auch wenn sie sich die ganze Zeit über gesagt hatte, dass es keine Rolle spielte. War sie wirklich so naiv gewesen, zu glauben, dass sie hier einfach nur mal wieder nach dem Rechten sehen könnte — und das, obwohl sie doch ganz genau wusste, dass dies seit Jahren sein bevorzugter Aufenthaltsort war und dass er alles auch ohne sie hervorragend in Ordnung hielt?
Als sie sah, wie sich die Tür öffnete und er ins Freie trat, stockte ihr der Atem. Er stand auf der Terrasse und schaute ihr erwartungsvoll lächelnd entgegen, und während sie seine Blicke erwiderte, schienen sich die Sekunden zu einer Ewigkeit zu dehnen, bis sie jedes Gefühl für Zeit und Raum verloren hatte.
*
Henrik hatte ursprünglich nicht vorgehabt, zum Arbeiten hierher zu kommen, doch zu Hause war ihm die Decke auf den Kopf gefallen. Er war sich wie ein Tier
Weitere Kostenlose Bücher