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Sehnsuchtsland

Sehnsuchtsland

Titel: Sehnsuchtsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inga Lindström
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losließ, war ihr Gesicht bleich und erschüttert. »Ich hätte ihm das nicht antun dürfen«, flüsterte sie erstickt. »Es ist alles meine Schuld!« Mit Tränen in den Augen eilte sie zu Henrik und schmiegte sich Trost suchend an ihn. Er warf Linda einen ratlosen Blick zu, während er beruhigend über Gunillas Rücken strich.
    Was soll ich tun, sie einfach wegstoßen?, schienen seine Augen zu fragen. Linda wandte sich ab und bemühte sich, die chaotischen Gefühle zu unterdrücken, die sich ihrer bemächtigt hatten, eine gefährliche Mischung aus Scham, Wut und Hilflosigkeit. Doch sie schaffte es. Hastig ging sie hinüber in den angrenzenden Salon. Höchste Zeit, Nils endlich anzurufen, bevor er anfing, sich ernstlich um sie zu sorgen. Außerdem hatte er ein Recht, zu erfahren, was hier los war.
    Seine Stimme klang müde und leicht gereizt, als er sich meldete. Wahrscheinlich hatte er wieder zu viel gearbeitet. In knappen Worten erzählte Linda ihm, was passiert war, und sein Tonfall wurde besorgt. »Ist er in guten Händen? Soll ich mich eventuell mit Professor Hansson in Verbindung setzen? Du weißt ja, ich kenne ihn vom Golfclub.«
    »Nein, nicht nötig. Die Ärzte hier sind gut. Trotzdem danke.«
    »Wenn du willst, kann ich am Samstag kommen.« Er hielt inne, dann setzte er zögernd hinzu: »Die Opernkarten könnte ich verkaufen.«
    Linda unterdrückte ein Seufzen. Oper war das Letzte, wonach ihr im Augenblick der Sinn stand, doch für Nils wäre es vermutlich eine mittlere Katastrophe, darauf verzichten zu müssen. »Nein, tu das nicht«, sagte sie. »Du hast dich so darauf gefreut. Außerdem — hier könntest du sowieso nichts tun. Ich wollte nur, dass du Bescheid weißt.«
    Nils erhob keine Einwände, offenbar war es ihm nur zu recht, nicht in eine aufreibende Familienkrise hineingezogen zu werden.
    Linda trennte die Verbindung und klappte ihr Handy zu. Im nächsten Moment merkte sie, dass Henrik den Raum betrat. Obwohl sie mit dem Rücken zur Tür stand, spürte sie seine Gegenwart so stark, als würde er dicht bei ihr stehen und sie berühren.
    »Hier hast du dich versteckt!« Er war mit wenigen Schritten bei ihr und nahm ihre Hände.
    »Ich habe nur Nils wegen Papa Bescheid gesagt«, erwiderte sie ein wenig steif.
    Sie spürte, wie er sich bei dieser Äußerung versteifte, und sie glaubte, in seinem Blick stumme Vorwürfe zu lesen.
    Das verstärkte ihren Ärger noch. Was erwartete er denn? Dass sie Nils am Telefon abservierte? Dass sie mal eben so mir nichts, dir nichts drei Wochen vor dem Termin die Hochzeit platzen ließ? Während er zuließ, dass Gunilla sich schluchzend in seine Arme warf und an ihm klebte wie eine Napfschnecke?
    Einen Sekundenbruchteil später war die Stimme ihrer Schwester zu hören. »Henrik?« Und dann gleich noch einmal. »Henrik!«
    Seine Hände drückten zu, umfingen die ihren mit solcher Heftigkeit, dass es ihr wehtat. Linda entzog sich ihm und trat einen Schritt zurück, während sie ihn stumm anfunkelte. Geh doch zu ihr, dachte sie wütend. Geh zu deiner Frau, wenn sie nach dir ruft!
    Henrik ließ die Hände fallen, einen undeutbaren Ausdruck im Gesicht. Im nächsten Moment hatte er sich umgedreht und den Raum verlassen.
    Linda blieb stehen, schaute ihm hinterher und lauschte den sich entfernenden Schritten. Dann setzte sie sich in Bewegung, wie von einer unsichtbaren Schnur gezogen. Sie hasste sich dafür, doch sie konnte nicht anders. Sie musste einfach wissen, was er tat, was er zu ihr sagte. In der offenen Tür blieb sie stehen und wich rasch einen Schritt zurück, damit ihre Schwester sie nicht bemerkte.
    Gunilla stand am Fuß der Treppe, die Arme um den Oberkörper geschlungen und die Augen geweitet vor Kummer. Linda wappnete sich gegen das Mitgefühl, das sich in ihr auszubreiten begann. Doch die unwillkommene Regung verschwand im nächsten Augenblick von allein, als Gunilla ihre Arme um Henrik legte. »Ich wollte dir nur sagen, wie froh ich bin, dass du für mich da bist.«
    »Sicher.« Er tätschelte ihren Rücken. »Mach dir nicht so viele Sorgen um deinen Vater. Er ist zäh.«
    Sie nahm seinen Kopf in beide Hände und streichelte mit den Fingern sein Haar. »Henrik, ich bin so froh, dass es dich gibt.«
    Linda fühlte die Kälte in ihrem Inneren wie Millionen winzige Eissplitter, die sich durch ihre Haut bis tief in die Knochen bohrten. Sah so das neue Liebesglück ihrer Schwester aus? Linda glaubte keine Sekunde mehr daran, dass Gunilla ernsthaft vorhatte, in

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