Sehnsuchtsland
die plötzliche Trockenheit in seinem Hals loszuwerden. »Weißt du eigentlich, wie hübsch du immer noch bist?«, fragte er mit belegter Stimme. »Du siehst genauso aus wie damals, als Per dich zum ersten Mal mitbrachte. Erinnerst du dich noch, was wir damals gemacht haben?«
Sie nickte lächelnd. »Es war jener Sommer, als ihr euch immer diese Seeschlachten mit den Ruderbooten geliefert habt...« Ihr Blick wurde weich. »Wenn ihr gewusst hättet, wie lächerlich ihr ausgesehen habt in diesen wackligen Booten und in euren komischen Badehosen... Aber ihr wart auch sehr süß in eurem Eifer, euch gegenseitig zu übertrumpfen.«
»Ich habe Per immer besiegt. Aber du hattest ein Herz für den Verlierer.« Lennart starrte ins Leere. Das alles war so viele Jahre her, aber manches davon schien auch in der Erinnerung niemals zu verblassen. »Manchmal würde ich die Zeit gern zurückdrehen«, flüsterte er.
»Wieso denn?« Greta schloss ihre Arzttasche. »Die Gegenwart kann doch auch sehr schön sein. Du musst es nur wollen.«
Lennart lauschte für einen Augenblick ihren Worten nach, und plötzlich wünschte er mit allen Fasern seines Wesens, dass sie wahr wären.
*
Linda wusste nicht, welches Geräusch sie zuerst geweckt hatte, das Brummen des näher kommenden Motorbootes oder das Klingeln ihres Handys. Verschlafen tastete sie herum, und dann, als ihr klar wurde, wo sie sich befand und was in der letzten Nacht geschehen war, setzte sie sich ruckartig auf. Vom Sofa herabhangelnd, suchte sie auf dem Fußboden nach ihrer Handtasche und kramte so lange darin herum, bis sie das Handy gefunden hatte. Zwischenzeitlich hatte das Klingeln aufgehört, aber die Rufliste zeigte einen entgangenen Anruf von Nils an. Rasch hörte Linda die Mailbox ab.
»Hallo, hier ist die Mailbox von Linda Thorwaldsson «, sagte ihre eigene Stimme in aufgeräumten Tonfall. »Sie können nach dem Signal eine Nachricht hinterlassen.«
Dann Nils, leicht verärgert und deutlich ungeduldig. »Linda? Ich bin’s, Nils. Ich vermute, dir geht es gut, sonst hättest du sich bestimmt gemeldet. Hoffentlich vergisst du nicht die Oper am Samstag. Bis dann.«
Linda lauschte dem Klicken und schloss die Augen, als könnte sie so die jäh einsetzenden Gewissensbisse ausblenden. Sämtliche Erinnerungen der letzten Nacht brachen mit Macht über sie herein, und Linda merkte, dass Hitze in ihre Wangen stieg. Doch dann wallte Trotz in ihr auf. Das, was sie getan hatte, war richtig. Es musste richtig sein! Wie konnte etwas, das sie so unglaublich glücklich machte, verkehrt sein? Sie hatte es mit solcher Dringlichkeit gewollt wie noch nie etwas anderes zuvor. Ihre bisherige Welt war mit einem Schlag in tausend Stücke zersprungen, und Henrik hatte sie völlig neu zusammengesetzt. Es war, als hätte sie plötzlich aufgehört zu existieren, um dann in einer einzigen Nacht neu geboren zu werden.
Linda blickte sich beunruhigt um. Wo, um alles in der Welt, steckte er überhaupt? Er war nach dieser unglaublichen Nacht bestimmt nicht einfach so verschwunden, oder doch? Von leiser Panik erfüllt, schob Linda das Handy zurück in die Tasche und schwang die Beine aus dem Bett. Es war morgendlich kühl in der Hütte, sie sollte nachschauen, ob Holz zum Feuermachen neben dem Kaminofen lag.
Dann erst nahm sie bewusst das Geräusch des Außenborders wahr und stand eilig auf, um nachzusehen, wer dort kam. Sie legte sich die rote Decke wie einen Umhang über die Schultern und lief zum Fenster. Befreit lachte sie auf, als sie Henrik erkannte. Er vertäute das Boot am Landungssteg und sprang leichtfüßig von Bord. Linda hielt es nicht länger in der Hütte. So, wie sie war, rannte sie hinaus auf die Terrasse und winkte ihm von dort aus zu. »Guten Morgen!«, schrie sie.
Er winkte zurück, ein breites Grinsen im Gesicht — und eine große Papiertüte in der Hand.
»Frühstück!«, rief er, während er mit großen Sätzen den Hang hinaufsprang . Oben auf der Terrasse angekommen, eilte er auf sie zu und lachte sie mit funkelnden Augen an. »Wenn ich mich recht erinnere, warst du schon immer ein Frühstückstyp. Deine Familie war schon längst fertig, und du hast erst richtig losgelegt.«
Angesichts der wenigen Male, die sie bis jetzt im Kreise der Familie miteinander gefrühstückt hatten, fand Linda es bemerkenswert, dass er sich überhaupt daran erinnerte.
»Frühstücke wie ein König, hat meine Großmutter immer gesagt«, grinste sie. »Und wie ist es bei dir?«
Er nahm sie
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