Sehnsuchtsland
ihren Kopf gegen seine Brust. »Ich bin verheiratet.«
Er fasste sie bei den Schultern und schaute sie an. Sie wich seinen Blicken aus und redete hastig weiter. »Erik und ich, wir haben so viel zusammen durchgestanden! Wir kennen uns schon so lange... Ich... Mein Gott, ich muss uns noch eine Chance geben! Erik tut es doch auch!«
»Hanna!« Er schrie es beinahe. »Ist da irgendetwas zwischen uns passiert, oder war das einfach nur eine schöne Nacht für dich, bevor es auf die lange Reise geht?«
Sie war entsetzt. »Nein!« Heftig den Kopf schüttelnd, wiederholte sie: »Nein!« Sie schaute in sein Gesicht und hielt es plötzlich keinen Augenblick länger aus. Mit beiden Händen umfasste sie sein Gesicht und reckte sich auf die Zehenspitzen. Mit dem Mund suchte sie seine Lippen. Er schien einen Moment zu zögern, doch nur den Bruchteil einer Sekunde später riss er sie fast grob in seine Arme und erstickte sie förmlich mit glühenden Küssen. Hanna gab sich seinen wilden Zärtlichkeiten hin und wünschte sich, die Zeit möge für immer stehen bleiben, genau jetzt, in diesem einen magischen Augenblick.
Doch der Moment verging wie alle anderen davor, und die Realität kehrte erschreckend schnell zurück. Es war ein Gefühl wie nach einem misslungenen Drahtseilakt. Sie hatte zu schnell zu hoch hinausgewollt, hatte sich kühn und frei emporgeschwungen — nur um am Ende tiefer als je zuvor zu fallen.
Sie löste sich von ihm und taumelte ein paar Meter weit weg. »Er hat so von dieser Reise geträumt! Ich kann das nicht einfach nach zwei Tagen abbrechen!«
»Manchmal erledigen sich Träume von selbst!« Niclas war ihr gefolgt und schlang von hinten die Arme um sie. »Hanna, du bist hier, bei mir!« Er vergrub sein Gesicht in ihren Haaren. »Ich liebe dich.«
Sie schluchzte auf und riss sich von ihm los.
»Es ist egal, ob wir uns lieben! Ich werde Erik das nicht an tun! Ich kann es nicht! Er gibt für mich den Job seines Lebens auf! Wenn ich ihn jetzt im Stich lasse, könnte ich mir das niemals verzeihen!«
Niclas stand hoch aufgerichtet da. Der Wind peitschte ihm dunkle Haarsträhnen in die Stirn. »Warum hast du so wenig Mut?«
Sie starrte ihn an, verständnislos und niedergeschmettert. »Mut?«
»Mut, etwas zu ändern. Mut, neue Wege zu gehen.«
»Ich gehe ja einen neuen Weg!« rief sie außer sich. »Wir lassen unser gesamtes Leben hinter uns!«
»Und eure Probleme nehmt ihr mit.« Als sie ihn nur schweigend anstarrte, fügte er beschwörend hinzu: »Ich meine den Mut, eine Entscheidung zu treffen, die nichts mit der Vergangenheit zu tun hat!«
Sie stand mit hängenden Armen da und fragte sich, wie sie es schaffen sollte, ohne ihn weiterzumachen. Ihr Gesicht fühlte sich taub an von der Anstrengung, keine Miene zu verziehen.
»Es tut mir Leid«, flüsterte sie.
Er hob das Kinn und schaute sie an. Seine Augen waren starr. »Mir auch.«
Sie wartete noch einen Moment, weil sie dachte, dass er ihr vielleicht noch etwas sagen wollte. Als er es nicht tat, horchte sie in sich hinein, doch auch da fand sie keine Worte, die noch etwas hätten ändern können.
Stumm wandte sie sich ab und machte sich auf den Weg, für den sie sich entschieden hatte.
*
»Stockholm!« Der Ärger in Lottas Stimme war nicht zu überhören. »Ich weiß nicht, was das soll! Du gehörst da nicht hin! Und Niclas sowieso nicht.«
Hanna, die gerade im Begriff war, auf die Veranda hinauszutreten, hörte den letzten Satz und blieb abrupt mitten im Salon stehen. Sie wich ein Stück zur Seite, bis sie durch einen Vorhangspalt Lotta und Siv erspähen konnte. Durch die offen stehende Tür war jedes Wort ihrer Unterhaltung im Salon zu hören.
Sie hasste sich selbst dafür, dass sie lauschte, doch allein Niclas’ Namen zu hören reichte aus, um sie alle Prinzipien und Anstandsregeln vergessen zu lassen. Siv stand vor einem Tisch, der von Blumentöpfen überquoll. Sie trug Gartenhandschuhe und war damit beschäftigt, welke Triebe abzuschneiden und Pflanzen umzutopfen.
»Wieso kannst du ihn nicht dazu bringen, die Praxis wieder aufzumachen?« Lotta sprach lauter als nötig, ihr war anzumerken, wie sehr sie sich über Sivs Pläne aufregte. »Das würde alles einfacher machen!«
»Er kann das nicht«, beschied Siv sie knapp.
Lotta warf die Arme hoch und begann, erregt auf der Veranda auf und ab zu gehen. »Ich verstehe ja, dass er sich schuldig fühlt! Würde wahrscheinlich jeder, dem seine Frau unter den Händen verblutet ist!«
Hanna
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