Sehnsuchtsland
zu gehen. Sie umklammerte ihre Handtasche, als ob sie dringend etwas zum Festhalten brauchte.
Jan folgte ihr, erleichtert aufseufzend, weil die Schmerzattacke allmählich nachließ. Dich hinter ihr blieb er stehen.
»Was ist eigentlich los mit Ihnen?«
»Nichts.« Sie holte Luft, dann sagte sie mit einem Unterton von Aggression: »Ich will nur endlich weg hier!« Sie schob sich an ihm vorbei und entfernte sich ein paar Schritte.
»Kennen Sie das denn nicht?«, fragte sie fast verzweifelt. »Sie haben einen Zehntausendmeterlauf vor sich — und dann kommen Sie nicht aus den Startlöchern!«
Nachdenklich schaute er auf sie hinunter. Sie war nicht sonderlich klein, aber längst nicht so groß wie beispielsweise Lotta oder Siv. Im Vergleich zu den beiden war sie eine halbe Portion, eine zarte blonde Fee. Doch um ihren Mund lag ein trotziger Zug, der von Kraft und Durchsetzungsvermögen zeugte. Nur, dass sie nicht immer genau zu wissen schien, was sie eigentlich wollte.
»Wieso machen Sie das eigentlich?«, fragte er unvermittelt.
»Was?«, kam es wie aus der Pistole geschossen zurück.
»Diesen Segeltörn.« Er schaute auf seine Hände und rieb eine Stelle an seinem Daumen, wo sich ein besonders hartnäckiger Ölfleck zeigte. »Ich kenne eine Menge Leute, die so etwas gemacht haben. Aussteiger, Abenteurer... Die meisten von ihnen waren vor irgendetwas auf der Flucht.«
»Bei mir ist das anders«, behauptete sie. »Ich laufe nicht weg.« Als wollte sie ihre eigenen Worte Lügen strafen, wandte sie sich hastig von ihm ab und ging hinüber zu dem Werkzeugtisch. Die kleine Holzmöwe lag dort zwischen den Farbtöpfen und Pinseln, und Hanna nahm sie auf, um sie zu betrachten. »Ich will nur irgendwo ankommen«, flüsterte sie.
»Wo?« Er stützte sich mit beiden Händen auf dem Tisch auf. »In Neuseeland?«
»Egal wo.«
»Nur nicht hier und nur nicht jetzt«, meinte er mit leisem Spott.
»Sie müssten das doch kennen«, erwiderte sie mit bitterer Ironie. »Sie versuchen doch auch, anzukommen.«
Das saß. Jan starrte auf den Kübel mit dem Bootslack, der vor ihm auf dem Tisch stand. Jähe Hilflosigkeit hatte sich seiner bemächtigt. Sie hatte völlig Recht. Er versuchte seit Jahren nach Hause zu kommen, obwohl es kein Zuhause mehr für ihn gab.
Hanna war wieder ein Stück den Steg entlanggegangen, unruhig wie ein Tier im Käfig. »Ich habe keine Ahnung, was zwischen Ihnen und Lotta ist«, begann sie.
»Das geht auch niemanden etwas an«, unterbrach er sie.
»Ich glaube, Lotta wartet auf etwas«, fuhr sie unbeirrt fort. Ein Lächeln stahl sich in ihre Augen. »Aber Sie wissen wahrscheinlich auch nicht, worauf.«
Jan schaute über den Sund und sah Sivs Boot näher kommen. »Wissen Sie denn, wo Sie ankommen wollen?«
»Eigentlich dachte ich, dass ich es wüsste.«
»Und jetzt?«
»Das ist doch egal. Es geht nicht nur um mich.« Hanna betastete die raue Oberfläche der unfertigen hölzernen Möwe. Zwischen ihren Fingern fühlte sie sich an wie ein lebendiges Wesen, das unter einer starren Schale darauf wartete, ans Licht zu schlüpfen. Man konnte schon gut erkennen, wie sie aussehen würde.
Ich sollte sie fertig machen, dachte Hanna unvermittelt. Nur noch ein bisschen Schnitzen und Schleifen und ein schönes großes Paar Flügel, und sie wäre frei.
»Ich muss jetzt los, packen.« Entschlossen ging sie davon. Über die Schulter sagte sie: »Ich gehe davon aus, dass Erik und ich heute Abend abreisen können.«
Jan zuckte die Achseln. »Dann werde ich mal alles dafür tun, dass Ihr Schiff wieder ins richtige Fahrwasser kommt«, sagte er leise und zu niemandem im Besonderen, während er beobachtete, wie Hanna mit gesenktem Kopf über die Wiese stapfte.
Sivs Boot hatte angelegt. Sie sprang von Deck und wand das Tau um den Pfeiler des Stegs.
Sie küsste Jan auf die Wange und umarmte ihn kurz. » Hej ! War das Hanna?« Sie schaute der weiß gekleideten Gestalt nach. »Sie ist nett, oder?«
»Nett, ja«, erwiderte er brummig. »Aber auch ein bisschen feige.« Er hob die Schultern und fühlte wieder den Schmerz, vage und nicht so schlimm diesmal, aber unleugbar immer noch da. »Doch wer ist das nicht.«
»Ich«, sagte Siv. »Feige bin ich sicher nicht. Ich habe vor nichts Angst.« Ihre Stimme klang ungewöhnlich ernst, und in ihrem Gesicht war nichts von ihrer üblichen Fröhlichkeit zu entdecken.
Jan zog die Brauen zusammen. »Was hast du vor?«
»Ich habe mich entschieden. Ich verkaufe die Taxis und gehe
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