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Sehnsuchtsland

Sehnsuchtsland

Titel: Sehnsuchtsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inga Lindström
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zuckte heftig zusammen. Um Himmels willen, was war nur mit Niclas’ Frau passiert? Wie war sie gestorben? Ob sie einen Unfall gehabt hatte?
    »Es war eine Verkettung unglücklicher Umstände«, fuhr Lotta aufgebracht fort. »Deswegen darf man doch nicht gleich seinen Beruf aufgeben!«
    »Vielleicht ist esja gut für uns alle«, sagte Siv. »Ein neuer Ort, ein neues Leben.«
    »Es ist ein Risiko! Und zwar für dich! Woher weißt du eigentlich, ob er dich wirklich liebt?«
    »Wieso sollte er es nicht tun?« Siv senkte verbissen den Kopf, während sie mit ruckartigen Bewegungen an einer Geranie herumhantierte. Entnervt knallte sie schließlich den Topf auf den Tisch und tigerte mit verschränkten Armen über die Veranda.
    Hanna wich hastig einen Schritt zurück, um nicht gesehen zu werden, doch Siv hatte nur Augen für ihre Mutter. »Wir stehen uns sehr nahe!« Ihre Stimme hatte einen flehenden Beiklang angenommen, so, als müsse sie nicht nur Lotta, sondern auch sich selbst vom Sinn ihres Vorhabens überzeugen. »Wir lachen so viel zusammen! Pelle, er und ich — wir sind manchmal schon fast wie eine richtige kleine Familie!« Sie reckte sich entschlossen. »Er braucht mich einfach. Ich bin das Beste für ihn und Pelle!«
    Lotta schüttelte resigniert den Kopf. »Ich hoffe nur, du machst keinen Fehler.«
    Siv fuhr auf. Ein störrischer Ausdruck stand in ihren Augen. »Mama, ich finde, du bist nicht diejenige, die mir sagen sollte, was gut oder schlecht ist, wenn es um Beziehungen geht!«
    Verärgert ließ sie ihre Mutter stehen und ging in den Garten. Hanna zog sich rasch vom Salon in die Halle zurück und sagte sich, dass sie sich schämen sollte für ihr heimliches Lauschen. Das hatten diese Menschen, die sie so freundlich aufgenommen hatten, nicht verdient. Vor allem Niclas hatte es nicht verdient!
    Vielleicht würde die Scham noch kommen, demnächst, wenn sie sich bereits auf hoher See befand. Doch zurzeit war dafür in ihrer Gefühlswelt kein Raum. Im Moment kreisten ihre Gedanken einzig und allein um die Frage, ob es wohl jemals aufhören würde, wehzutun.

    *

    Der Wind hatte weiter aufgefrischt, er kam vom Sund her in die Bucht gefegt und wehte ein paar von Elsas Haarsträhnen in Eriks Gesicht. Er spürte das Zittern ihres Körpers und wünschte sich, etwas tun zu können, um ihr den Abschied leichter zu machen. Dass er selbst dabei fast den Verstand verlor, spielte keine Rolle. Es war die Strafe, die er schon lange verdient hatte.
    »Es gibt nichts mehr zu sagen, oder?« Ihre Stimme verlor sich in den Falten seines Pullis, als er ihren Kopf fester an seine Brust drückte. »Wir haben alles tausendmal besprochen«, sagte er heiser. »Es gibt keine andere Lösung.«
    Sie machte sich von ihm los. Ihre dunklen Augen schimmerten feucht vor ungeweinten Tränen, und um ihren Mund zuckte es schmerzvoll. »Das Baby wäre auch gestorben, wenn du bei ihr und nicht bei mir gewesen wärst!« Nachdem sie Worte voller Erbitterung hervorgestoßen hatte, drehte sie sich auf dem Absatz um und marschierte in Richtung Straße.
    Erik konnte sie nicht so gehen lassen. »Ich hätte sie ins Krankenhaus gefahren!« Er holte sie ein und ging neben ihr her. »Sie hätten einen Kaiserschnitt machen können! Mein Kind wäre auf die Intensivstation gekommen, es hätte wenigstens eine Überlebenschance gehabt!«
    Die Stimme versagte ihm, und plötzlich war alles wieder da. Die Schreckensbilder jener Nacht, überlebensgroß und entsetzlich in ihrer Deutlichkeit. Der Arzt in seinem grünen Kittel, die müden Augen, bekümmert zur Seite gewandt. Wortfetzen, die keinen Sinn ergeben wollten. Die Stimme, die teils mitfühlend, teils professionell mit ihm sprach, etwas von verfrühtem Blasensprung und vorgefallener Nabelschnur erzählte, lauter Dinge, die er in keinen Zusammenhang bringen konnte.
    Er hatte sich nur gemerkt, dass man sie liegend hätte transportieren müssen, mit hoch gelagertem Becken. Keinesfalls hätte sie einfach selbst in die Klinik fahren dürfen. Als sie ankam, war das Kind bereits tot gewesen. Sie hatten es ihr gesagt, und dann hatte sie es entbinden müssen, unter Wehen und aus eigener Kraft, weil die Geburt schon zu weit fortgeschritten war. Als er am nächsten Tag ins Krankenhaus gekommen war, hatten sie ihm sein totes kleines Mädchen gezeigt. Es wäre nächste Woche drei Monate alt geworden.
    Erik starrte auf Elsas schmalen Rücken, die schwarze Haarflut, die wie ein Trauerschleier auf ihrer weißen Jacke lag. Er

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