Sehnsuchtsland
Blick auf die mit Magneten befestigten Fotos. Silke und Pelle, Silke und er selbst, immer lachend und immer glücklich. Diese Zeit erschien ihm mit einem Mal wie ein weit entferntes, völlig anderes Leben. Ein glückliches Leben, das ihn mit wunderbaren Erinnerungen erfüllte. Aber eben auch ein Leben, das vorbei war. Überrascht und ein bisschen wehmütig erkannte er, dass er zum ersten Mal seit ihrem Tod in der Lage war, an sie zu denken und dabei zu spüren, dass sie ein Teil seiner Vergangenheit war. Hanna war im Begriff, aus seinem Leben zu verschwinden, noch bevor sie wirklich darin angekommen war. Dessen ungeachtet hatte sie etwas hingekriegt, das in den letzten beiden Jahren niemandem vor ihr gelungen war. Er konnte endlich die Vergangenheit von der Gegenwart trennen.
Was aus seiner Zukunft werden würde, war allerdings eine andere Sache, über die er im Augenblick nicht nachdenken wollte.
Er hatte sein Handy ausgestellt, weil er es nicht länger ertragen konnte, vergeblich auf eine Nachricht von ihr zu warten. Solange es nicht an war, konnte er sich wenigstens vormachen, dass sie sich vielleicht doch noch einmal bei ihm gemeldet und dabei am eigenen Leib gespürt hatte, wie weh diese kalte Abweisung tat.
Er starrte die Wasserflasche in seiner Hand an und war eine Sekunde lang versucht, sie gegen die Wand zu werfen, ein Akt roher Gewalt, um seinen Frust und seinen Zorn loszuwerden.
» Hej , Papa!«
Niclas sah durch das angelehnte Küchenfenster, wie Pelle auf das Haus zugerannt kam. Er hielt mit beiden Händen den Drachen hoch, während der meterlange Schwanz wie ein Band aus Feuer hinter ihm herflatterte und über das Gras schleifte.
Niclas ging zum Fenster und stieß es auf. »Was ist denn?«
»Der Drachen ist kaputt.« Pelle zeigte ihm das Loch. »Ist in einen Baum gekracht. Das Loch kommt von einem Ast.«
»Das kriegen wir schon wieder hin. Ich komme raus.«
Er ging in den Garten und besah sich den Schaden.
»Lass uns doch zu Hanna fahren.« Pelle schaute erwartungsvoll zu ihm hoch. »Die weiß, wie so was geht!«
»Das bekommen wir auch alleine wieder hin.«
»Aber Hanna kann so was!«, begehrte Pelle auf. »Sie...«
»Hast du nicht gehört?«, unterbrach Niclas ihn unwirsch. »Ich kümmere mich darum!«
»Aber...«
»Pelle!« Niclas Stimme war wie ein Peitschenhieb. »Ich will nichts mehr davon hören! Die Sache ist entschieden!«
Pelle zuckte erschrocken zusammen, dann richtete er sich auf und funkelte seinen Vater an. Heftig stieß er ihm den Drachen vor die Brust, sodass Niclas einen halben Schritt zurücktaumelte.
Im nächsten Augenblick rannte Pelle mit rudernden Armen quer über die Wiese davon.
*
Jan widerstand der Versuchung, sich für eine Weile auszuruhen. Es gab genug Arbeit in der Werkstatt, und da er hier der Chef und die einzige Arbeitskraft gleichzeitig war, konnte er es sich nicht erlauben, einfach zwischendurch schlappzumachen.
Immerhin war die Miranda klar zum Auslaufen. Er hatte alles andere liegen lassen und das fehlende Teil eingebaut, nachdem es heute Nachmittag endlich per Kurier angekommen war. Hanna hatte es so eilig mit ihrer Weltumsegelung, dass sie ihm vermutlich den Kopf abgerissen hätte, wenn er das Boot nicht gleich repariert hätte.
Als er das elegante Cabrio Vorfahren sah, legte er den Lötkolben zur Seite und schob sich die Schutzbrille auf die Stirn.
Erstaunt schaute er der Frau entgegen, die aus dem Wagen stieg und mit energischen Schritten auf ihn zukam. Sie wirkte sehr elegant mit ihrem schwingenden Rock und der weißen Jacke. Doch als sie näher kam, bemerkte er, dass der Rock eine Idee zu durchsichtig war und die Absätze ein wenig zu hoch. Nicht, dass es ihm nicht gefallen hätte; die Frau war bildschön und wusste sich zu bewegen, und er hatte für dergleichen schon immer ein gutes Auge gehabt. Aber Jan spürte instinktiv, dass sie es darauf anlegte, aufzufallen. Sie war eine Frau, vor der Männer sich in Acht nehmen mussten. In ihren Augen stand ein fiebriger Glanz, als sie auf ihn zutrat.
» Hej .«
Er nickte. »Kann ich was für Sie tun?«
Ihr dunkelrot geschminkter Mund verzog sich zu einem flüchtigen Lächeln. »Ich suche das Boot der Beilmanns.«
Er deutete auf die Miranda. »Da drüben.«
»Ich bin die Sekretärin von Herrn Bellmann. Er hat mich gebeten, ihm noch ein paar Unterlagen aufs Boot zu bringen. Ist er zufälligerweise da? Oder seine Frau?«
Jan schüttelte den Kopf und betrachtete sie. Etwas an ihrer Art
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