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Sehnsüchtig (German Edition)

Sehnsüchtig (German Edition)

Titel: Sehnsüchtig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanne Woodtli
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unwillig, eine schnelle Bewegung, und er bereut den Satz im gleichen Moment. „Sag so etwas nicht!“, sagt sie aufgebracht. Er sieht, wie sich ihr Kiefer spannt. Sie versucht offensichtlich, sich zu beherrschen. „Sag das nicht. Das ist daneben! Du hast doch alles. Du hast Erfolg, eine Karriere, du hast tolle Freunde wie Marlen, du hast Irina und Lilli, und sie lieben dich alle!“
    „Es tut mir leid, ich habe geredet ohne nachzudenken.“ Er macht einen Schritt auf sie zu und streckt entschuldigend die Hand nach ihrer Schulter aus. „Das hat du allerdings“. Sie beisst sich auf die Unterlippe, weigert sich, ihn anzusehen. Er greift nach ihrem Kinn, sachte, und zwingt sie dazu. „Es tut mir Leid. Wirklich. Ich bin einfach so durcheinander. Manchmal habe ich das Gefühl, ich bin nicht mehr mich selbst. Und dann sage ich dumme Sachen, für die ich mich im gleichen Moment ohrfeigen könnte.“ Sie blickt zu ihm auf, seine Hand immer noch an ihrem Kinn. Er zieht mit seinem Daumen ihren Wangenknochen nach. Immer wieder. Ihr Atem wird ein wenig schneller, scheint ihm. „Es tut mir Leid“, sagt er noch einmal. „Aber ich meine es ernst, ich möchte wirklich, dass du mitkommst.“ Sie blickt immer noch zu ihm auf. Sie sieht hilflos aus. „Wohin denn überhaupt?“ Einfach weg , liegt ihm auf der Zunge. Er hat noch nicht darüber nachgedacht. Aber dann kommt ihm eine Idee. „Ans Meer.“
    „Es gibt viele Meere ...“, hält sie fest. Er muss lächeln. Wahrscheinlich sieht es verunglückt aus. „Ich spreche vom Mittelmeer. Wir fahren in die Provence.“ Er fischt seine Geldbörse aus der Jeanstasche. „Lass mich mal an deinen Computer, damit ich buchen kann.“ Er schiebt sich an ihr vorbei und setzt sich auf ihren Bürostuhl, holt seine Kreditkarte hervor und loggt sich bei booking.com ein. „Du bist verrückt!“, klingt es in seinem Rücken. Er dreht sich um. „Ich weiss“, entgegnet er. Ein Lächeln zupft an ihren Mundwinkeln. Es ist winzig. Dann verschliesst sich ihr Gesicht. „Was ist?“, will er wissen. „Dieser Ort, wo du hinfahren willst, woher kennst du den?“ Er weiss auf Anhieb, worauf sie hinaus will. „Nein. Ich war nie mit Irina dort.“ Das wäre geschmacklos. Geschmacklos ist es ja wahrscheinlich ohnehin, was er gerade anzettelt. Ziemlich sicher, korrigiert er sich. Aber er will einfach weg. Und er will nicht alleine sein. „Ich war als Kind ein paar Mal mit meinen Eltern da. Ich wollte schon lange mal wieder dorthin zurück.“ Er tippt den Namen ins Suchfenster und studiert die Hotelliste. Er hört, wie Alys von einem Fuss auf den anderen tritt. „Ich glaube immer noch, dass es eine schlechte Idee ist“, sagt sie dann. „Ich meine, nach allem, was gestern passiert ist ...“ Er blickt auf. Ihre Augen sehen jetzt ängstlich aus. Sie lehnt sich an die Wand, als suche sie Halt an der Wand. Oder Beistand. Oder Zuflucht. „Denk nicht darüber nach“, meint er. Sie hebt eine Augenbraue. „Was gestern passiert ist, darf nicht wieder passieren.“
    „Ich weiss“, sagt er leise.
    „Und darum glaube ich, dass es falsch ist. Du und ich. Zusammen. Dort.“ Sie macht eine vage Geste in seine Richtung. Nein, eine gute Idee ist es bestimmt nicht. Aber ich hab gerade nichts für gute Ideen übrig. Oder für Vernunft. „Lass uns einfach fahren. Für einmal bloss Alys und Eliot sein. Alles andere lassen wir hier. Wir werden es schon irgendwie hinkriegen.“ Er sieht sie zögern. „Bitte ...“, fügt er hinzu. Sie schliesst kurz die Augen. Er sieht sie aufgeben. „OK“, sagt sie dann. „Du packst dein Zeug. Ich buche. Und dann fahren wir ans Meer.“ Sie schenkt ihm diesen langen Blick und verlässt dann den Raum. Er hört sie im Badezimmer und ihrem Kleiderschrank kramen. Sie packt tatsächlich. Wir fahren an die Küste. Er schliesst unterdessen die Buchung ab, druckt die Bestätigung aus, betrachtet das Papier in seinen Händen. Er hat es schwarz auf weiss.
    Alys und Eliot und das Meer.
     
    *
     
    Sie reden nur wenig während sie mit dem Taxi zum nach Hause fahren. Packen, das Auto holen. Sie blickt zum Fenster hinaus als wären die Quartiere der Stadt neu für sie: als gäbe es da etwas wahnsinnig Interessantes zu sehen, mehr als Schneematsch auf den Strassen, mehr als grauschwarze Wolken, die tief über den Häusern hängen, und mehr als Gärten im Winterschlaf. Alys sieht ein wenig aus wie gestern Nacht, als sie vom Hauptbahnhof zu ihr gefahren waren. Aber diesmal weint sie nicht.

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