Sehnsüchtig (German Edition)
Ihr Gesicht ist ernst, fast verschlossen. Zum hundertsten Mal fragt er sich, was wohl hinter diesen blauen Augen vorgeht, hinter der Stirn mit dem genau geschnittenen dunklen Pony. Ein Kleopatra-Haarschnitt . Deswegen war sie ihm aufgefallen, damals, im ‚Mon Amour’, wegen der Frisur und wegen dem Ausdruck in den Augen. Das Mädchen mit den ängstlichen Augen. Wer hätte damals gedacht, was einmal geschieht mit ihnen beiden. Er ist froh, hatte er es nicht gewusst.
Er bezahlt den Taxifahrer und sie drängt ihm die Hälfte des Geldes dafür auf. Das Gartentor quietscht als er es öffnet. Sein Blick hängt an Irinas Fahrrad vor der Haustür. Sein Magen verkrampft sich, er blickt rasch weg. Kramt nach dem Schlüsselbund und schliesst die Haustür auf. Er geht über die Schwelle, aber Alys bleibt vor der Tür stehen. „Ich warte hier“. Sie sieht unwohl aus. „Aber es ist arschkalt draussen ...“
„Ist OK. Wirklich!“
„Dann gebe ich dir den Garagenschlüssel und du setzt dich schon mal ins Auto ...“ Er sucht seinen Schlüsselbund nach dem richtigen Schlüssel ab. Sie schiebt ihre Reisetasche von einer Hand in die andere. „Oder ich geh schnell zu dem Tankstellenshop da vorne an der Ecke und kaufe uns ein bisschen Proviant. Ein paar Sandwiches oder so. Was willst du?“ Er überlegt. „Was zu essen und Cola wäre super. Wir haben sieben Stunden Fahrt vor uns. Und ein paar dieser gekühlten Kaffees. Und kannst du mir eine Stange meiner Zigaretten kaufen? Ich geb’ dir das Geld nachher..“ Sie nickt. Er streckt eine Hand nach ihrer Reisetasche aus, sie zögert, reicht sie ihm dann. „Damit du mir nicht wieder kehrt machst“, sagt er und zieht eine Augenbraue nach oben. Er sieht ihrem Gesicht an, dass sie mindestens einen Augenblick lang mit der Idee gespielt hat. „Da ist mein Laptop drin“, sagt sie dann. „Du weisst, wie sehr ich ihn liebe.“ Er grinst. Es fühlt sich ungewohnt an. Als hätte er es verlernt. „Gut, dann hab ich ja das Druckmittel in der Hand. Ich hol dich in 10 Minuten bei der Tankstelle ab. Ich brauch nicht lange.“
Das braucht er wirklich nicht. Er saust durch die Wohnung ohne nach links und nach rechts zu schauen und packt das Wichtigste in seine heiss geliebte alte Lederreisetasche aus dem Brockenhaus. Das braune Leder ist längst abgeschabt. Rollkoffer haben einfach keinen Stil. Er richtet eine Abwesenheitsnotiz in seinem Mailprogramm ein. „Ich bin bis am Mittwoch, 29. Februar, abwesend. Ihre E-Mail wird nicht weiter geleitet oder bearbeitet. In dringenden Fällen bin ich auf dem Handy erreichbar.“ Die Handynummer aber steht nicht in der Notiz. Wer wirklich wichtig ist, hat sie. Das Installieren der Abwesenheitsnotiz fühlt sich irgendwie gut an. Er hakt die imaginäre Packliste in seinem Kopf ab. Geld. Pass. Kreditkarten. Kleider. Necessaire. Akkukabel. Ich habe alles. Er greift mit einer Hand nach dem Gitarrenkoffer, mit der anderen nach der Reisetasche. Wir fahren ans Meer.
*
Die erste Stunde der Fahrt verbringen sie schweigend. Beide hängen ihren Gedanken nach. Alys blickt zum Fenster hinaus, wie vorher, als sie mit dem Taxi zu ihm gefahren sind. Eliot kurbelt die Scheibe herunter und schippt die Asche seiner Zigarette zum Fenster hinaus. Der Toyota Corolla vor ihm rollt gemächlich mit 95 km/h als hätte der Fahrer alle Zeit der Welt. „So ein Idiot!“ Eliot setzt den Blinker und drückt das Gaspedal durch. Er fühlt sich selbst ein wenig in den Sitz gedrückt. Er liebt dieses Gefühl. Er liebt das Geräusch des Motors. Er liebt die 180 wildgewordenen Pferde. Bei seinem Blick in den Rückspiegel amüsiert er sich ab dem Gesicht des Sonntagsfahrers hinter ihm. Ja, das ist ein 33-jähriger Porsche und du bist eine verdammte Schnecke! Er nimmt den Fuss etwas vom Gas und der Toyota Corolla verschwindet rasch am Horizont. Er drückt die Zigarette im Aschefach aus und wirft einen Blick auf Alys. „Sonst bist du nicht so still ...“, hält er fest und legt seine rechte Hand auf ihre Schulter. Das Leder ihrer Jacke fühlt sich kühl an seiner Haut. Ein kleines Geräusch kommt über ihre Lippen, es könnte ein Seufzer sein. „Ich weiss. Mir geht nur so viel durch den Kopf ... Ich habe das Gefühl, jemand hat die ‚Fast-Forward-Taste’ gedrückt und ich bin mitten in diesem Film und komme kaum nach.“ Eliot verzieht den Mund ein wenig. „Ich weiss. Es geht mir genau gleich. Wenn wir erst mal da sind, wird es besser. Ich glaube, ein wenig Abstand zu allem
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