Sehnsüchtig (German Edition)
Ohr. „Mir fehlst du auch, Eli.“ Seine Kehle schnürt sich zu. Im Bauch macht sich jetzt ein saures Gefühl breit. Er kennt es. Es ist Schuld. „Du fehlst mir auch“, bringt er hervor. Es klingt gepresst. Aber vielleicht wird sie es auf die Sehnsucht schieben. Es ist ja auch wahr. Sie fehlt mir. Was ist nur passiert mit uns beiden? Wie konnte es so weit kommen?
„Hör zu, du wirst mich zu Hause nicht erreichen. Ich fahre auch ein paar Tage weg.“
„Wohin?“ Sie klingt jetzt erstaunt. „Ich will in die Provence. Bin schon unterwegs. Ich dachte, das wird mir gut tun. Alleine sein, durchatmen. Für das Konzert ist ja alles soweit bereit. Ich rufe heute Abend Noah an, ob ich seinen Keyboarder haben kann. Und alles andere kann ein paar Tage warten.“
„Das klingt gut. Ich bin sicher, das tut dir gut. Mir tut es auch gut, auch wenn du uns fehlst. Schickst du mir die Hoteladresse, für den Notfall?“
„Ja, ich simse sie dir später durch.“
„Super. Lilli wacht auf. Ich ruf dich morgen wieder an.“
„Ja. Gib ihr einen Kuss von mir. Einen ganz dicken.“
„Das mach ich. Bis morgen. Schreib mir, wenn du gut angekommen bist. Und bitte nimm deinen Fuss vom Gas.“
„Das mach ich“, verspricht er. „Bis morgen.“ Dann legt sie auf.
*
Irina. Fünf Buchstaben auf einem Handybildschirm. Nur fünf kleine Buchstaben. Und doch reichen sie aus, um ihr Herz schneller schlagen zu lassen. Schneller, aber nicht höher. Sie kennt das flaue Gefühl, die Art, wie es ihr die Haut zusammenzuziehen scheint. Es ist Angst. Die blanke Angst. Und da ist noch das andere Gefühl, das ihr den Magen verätzt. Schuld. „Es ist Irina“, die fünf Buchstaben sträuben sich in ihrem Mund, machen ihr die Zunge schwer. Sie hört die Angst in ihrer eigenen Stimme. Sie fragt sich, ob er es hören kann. Sie sieht ihn Luft holen. Dann nimmt er ihr das Handy aus der Hand. Alys wagt kaum mehr zu atmen. Sie konzentriert sich die Autobahn, viel gibt es nicht zu sehen, Gebüsch, der Winter hat es zu Skeletten verkümmern lassen, der Pannenstreifen, ein Auto vor ihnen, deutsches Nummernschild, die Skier auf dem Dachständer festgeschnallt, unterwegs in die Skiferien wohl. Die deutsche Familie ist unbekümmert, hat keine Ahnung, dass das junge Paar im schicken Siebziger-Jahre-Porsche hinter ihnen gar kein Paar ist. Und dass sie eigentlich gar nicht das Recht haben, zusammen in diesem Auto zu sitzen – und schon gar nicht, zusammen gegen Süden zu fahren. Eliot setzt zum Überholen an und sie sieht den puren Neid auf dem Gesicht des deutschen Familienvaters, wahrscheinlich auf das Auto, kaum auf mich.
„Hallo Darling“, sagt er neben ihr. Das Wort sticht zu, tut ihr weh. Sie dreht den Kopf zum Fenster und hofft, dass er den Schmerz auf ihrem Gesicht nicht sehen kann. Was hast du denn gedacht, dass sich jetzt plötzlich alles geändert hat? Sie ist immer noch sein ‚Darling’. Sie sind immer noch zusammen. Er gehört ihr. Nicht dir. Du hast kein Recht auf ihn.
„Alles in Ordnung“, hört sie ihn sagen. Erste Lüge. Es ist nicht alles in Ordnung. Jetzt fragt er, wie es ihr geht. Sie kann Irinas Stimme hören, das Handy ist ziemlich laut eingestellt. Jetzt erzählt sie etwas von Lilli und Alys kann sie lachen hören. Sie klingt unbeschwert, glücklich. Das schlechte Gewissen drangsaliert sie so sehr, dass ihr davon übel wird. Wie konnte ich ihr das antun? Ich mag sie doch. Wenn sie ihn denn schlecht behandeln oder ihn ganz offensichtlich nicht mehr lieben würde, aber nein, sie konnte bei jeder Begegnung mit Irina sehen und spüren, wie sehr sie ihn liebt. Sie betet ihn an. Und sie wird ihn nicht verlassen. Auch wenn sie jetzt eine Krise haben. Sie wird ihn ganz sicher nicht verlassen. Ausser vielleicht, wenn sie das erfährt.
„Du fehlst mir auch“, sagt er. Noch mehr Schmerz. Die Eifersucht vermischt sich mit dem schlechtem Gewissen und der Angst. Was für ein Gefühlscocktail. Sie sieht jetzt auch auf seinem Gesicht Schmerz. Trotzdem klingt seine Stimme ruhig. Man kann es ihm nicht anhören. Sie ist ziemlich sicher, dass Irina es nicht hört, nichts merkt. Noch nicht. Er erzählt Irina jetzt von seiner Reise. „Allein sein, durchatmen“, sagt er. Beim kleinen Wort ‚allein’ schweift sein Blick zu ihr, dann zurück auf die Strasse. Zweite Lüge.
Sie hat Eliot Wagner als ehrlichen Menschen kennen gelernt. Der nichts beschönigt und sich traut, schonungslos offen zu sein. Wenn ihm etwas an ihren Entwürfen nicht
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