Sehnsüchtig (German Edition)
Die übliche Irina ist meistens guter Laune und wird nie laut, auf jeden Fall nicht, wenn sie dabei ist. Die Frau auf ihrem Sofa hat rot geweinte Augen und geht beinahe verloren in der Wolldecke.
„Du streitest dich mit ihm“, stellt Irina fest als das Handy vibriert und Marlen ansetzt, eine weitere Antwort zu schreiben. Ertappt legt Marlen das Handy beiseite. „Ich kann ihn nicht verstehen!“
Irina schenkt sich Tee nach. Die Kanne in ihrer Hand zittert bedenklich. „Ich will Eure Freundschaft nicht kaputt machen, ich wusste sonst nur nicht, wohin.“
„Denk nicht darüber nach.“ Marlen setzt sich neben Irina aufs Sofa und legt den Arm um ihre Schulter. „Ich bin immer für dich da. In jeder Situation!“ Es fühlt sich seltsam an, Irina im Arm zu halten. Sie ist keine dieser Frauen, die sich stets mit einer Schar kichernder – oder weinender – Freundinnen umgibt. Sie war nie eine Frau-Frau. Irina ist die einzige Frau, mit der sie irgendwie befreundet ist, sie kann es besser mit Männern. Sie ist es sich nicht gewöhnt, eine andere Frau zu trösten. Geht es einem ihrer Kumpel schlecht, dann geht sie mit ihm ein Bier trinken, meistens schweigen sie dazu. Die meisten können sowieso nicht über ihre Gefühle reden. Eliot ist einer der wenigen, der das kann.
„Ich wusste nicht, mit wem ich darüber reden sollte“, murmelt Irina und eine einzelne Träne rollt über ihre Wange. „Ich musste einfach jemanden sehen, sonst hätte ich den Verstand verloren.“
„Ich weiss“, sagt Marlen und streichelt Irinas Oberarm.
„Ich war an Silvester mit den Frauen weg, die ich vor einiger Zeit noch als meine Freundinnen erachtet habe, aber ich habe schon länger gemerkt, dass ich ihnen nicht mehr viel zu sagen habe. Der Kontakt schläft irgendwie immer mehr ein und ich hätte mit keiner darüber reden wollen. Eliot hat mir immer gereicht, weisst du. Eliot und Lilli sind meine ganze Welt geworden, das war falsch. Ich hätte mir ausserhalb dieser Welt jemanden suchen sollen, aber das habe ich irgendwie verpasst. Ich konnte mit Eliot immer über alles reden, das hat mir gereicht. Und dann wusste ich, dass dir das gleiche passiert ist.“ Ihr Blick schweift zu Marlens Bass drüben im Ständer, er glitzert im Licht der Stehlampe, die Schramme ist deutlich zu sehen, die Schramme von damals, als sie mit dem Instrument Richtung Robin ausgeholt hatte. Robin. Sie verdrängt den Gedanken an diesen Schlamassel. Das Arschloch ist mittlerweile verheiratet und wird Vater , sie hat ihn kürzlich Hand in Hand mit der Frau in der Stadt gesehen, mit der er sie damals betrogen hat und sie war unverkennbar schwanger.
„Wie hast du es überstanden?“, will Irina mit kleiner Stimme wissen.
„Ich weiss nicht. Ich habe geweint und Geschirr klein geschlagen, sämtliche Fotos und Briefe zerrissen und habe mich wochenlang hier verkrochen. Irgendwann bin ich raus und habe zum Trotz mit einer alten Affäre geschlafen. Am nächsten Morgen ging es mir noch schlechter, das war keine gute Idee. Aber irgendwann wurde es besser, ich weiss gar nicht mehr, wann und wie ...“
Irina hört ihr zu und dreht an ihrem Verlobungsring. Dann streift sie ihn sich vom Finger und steckt ihn ins Geldfach ihres Portemonnaies. „Ich kann ihn gerade nicht sehen, kann ihn nicht ertragen“, murmelt sie und Marlen ist nicht sicher, ob sie von Eliot oder vom Ring spricht ...
„Du hast Robin damals verlassen ...“, sagt Irina dann.
Marlen nickt langsam. „Er hat es mir nicht von sich aus gesagt. Ich habe es herausgefunden, weil Levin ihn mit ihr gesehen und es mir erzählt hatte. Als er dann am Abend nach Hause kam, konfrontierte ich ihn damit und er gestand. Da war es sofort aus.“
Irina starrt auf ihren ringlosen Finger. „Ich habe Eli immer gesagt, dass ich weg bin, wenn er mich betrügt.“ Marlen zögert. Ein seltsames Gefühl macht sich in ihr breit. Sie kann sich Eliot und Irina nicht getrennt vorstellen. Ihr gehört doch zusammen. „Für mich wart ihr immer eines der Paare, für die ich die Hand ins Feuer gelegt hätte. Wie füreinander gemacht. Wie zwei Hälften einer Nussschale.“
Ein Geräusch kommt von Irina. Es könnte ein Lachen oder ein Aufschluchzen gewesen sein. „Ich weiss, das sagen immer alle. Ich habe das auch immer geglaubt, auch wenn es schwierig war in der letzten Zeit.“
„Willst du ihn verlassen? Das ist ein grosser Schritt.“
Tränen lassen Irinas Augen glitzern. „Ich weiss nicht. Ich muss darüber nachdenken, aber
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