Sehnsüchtig (German Edition)
ihrem Handgelenk und sie stösst ihn von sich. Er gerät ins Taumeln. Die Wut macht sie stark. „Gib mir den Schlüssel! Du kannst in dieser Verfassung nicht fahren!“
„Was? Hast du Angst um dein geliebtes Auto? Stimmt, es hat ja keine Airbags. Das könnte all deine Probleme auf einen Schlag lösen.“
„Sag das nicht, hör auf solche Sachen zu sagen!“ Er versucht ein weiteres Mal, ihr den Schlüssel weg zu nehmen. „Du sollst mich nicht anfassen!“, schreit sie. Dann kommt Lillis Stimme aus dem Kinderzimmer. Sie ist aufgewacht, sie brüllt und sein Herz zerbirst in kleine Einzelteile.
„Geh zu deiner Tochter, kümmere dich um Lilli wie du es in der letzten Zeit viel zu selten gemacht hast.“ Mit diesen Worten verschwindet sie durch die Haustür, knallt ihm fast die Tür ins Gesicht. Er hört den Motor seines Autos aufheulen und dann ist sie weg.
*
Es tut so weh. Es zerreisst sie fast. Ich habe dich betrogen. Ich habe Gefühle für sie. Ich liebe dich über alles. Es tut mir Leid. Seine Stimme in ihrem Kopf, wie eine Platte, die einen Sprung hat. Sei still, sei doch einfach still! Ich hasse dich. Ich liebe dich, du verdammtes, verdammtes Arsch. Sie drückt das Gaspedal durch, sie trägt nur Socken und ihr Fuss rutscht. Sie hat irgendeine Autobahnauffahrt genommen. Sie fährt in irgendeine Richtung. Mir doch egal wohin. Einfach weg . Weg von ihm und allem was er ihr angetan hat. Immer wieder verschwimmen die beiden Autobahnspuren vor ihren Augen, die Rücklichter der anderen Autos, weil sie einfach nicht aufhören kann zu weinen. Sie überholt noch ein Auto, sie weiss nicht wie schnell sie ist, du kannst die Busse bezahlen wenn sie mich blitzen, ich verachte dich so. Es tut weh. So, so weh.
Einen Moment lang stellt sie sich vor, wie es wäre, wenn sie in der nächsten Kurve einfach geradeaus fahren würde. Oder das Steuer herumreissen, über den Pannenstreifen, in die Leitplanke, ins Gebüsch. Sie hört es krachen, sieht Glas bersten, wenn die Frontscheibe in tausend kleine Stücke zerspringen würde, ihr das Gesicht zerschneiden. Sie sieht das Wrack des Porsches vor ihrem inneren Auge, schwarzer Lack, geborsten, zerknüllt und weggeworfen wie ein Stück Papier. Vielleicht würde er in Flammen aufgehen. Sie hört die Sirenen, am Horizont zucken sie blau am Nachthimmel, fast schön . Fast wie Polarlichter.
Sie wollte immer einmal die Polarlichter sehen. Zusammen mit Eli. Sie hat davon gesprochen, seit sie sich kennen gelernt haben. Jedes Jahr verschieben sie die Reise in den Norden aufs nächste Jahr: Wenn ich mein Studium durch habe, Darling, dann ganz bestimmt. Nach der nächsten Tour. Wenn Lilli etwas grösser ist. Warum gehen wir nicht gleich als Hochzeitsreise.
Ihr Handy klingelt in der Handtasche auf dem Beifahrersitz, unablässig. Er versucht es immer wieder und gibt einfach nicht auf. Hör auf. Lass es sein! Ich will nicht mit dir reden, Verräter. Du hast alles gesagt, was es zu sagen gibt.
Sie widmet sich wieder der Leitplanken-Fantasie, aber Lillis Gesicht schiebt sich dazwischen. Sie schluchzt auf und verkrampft ihre Hände um das Lenkrad. Ich würde es nie tun, Mäuschen, ich kann das nicht, ich werde dich nie alleine lassen. Dein Vater hat mich betrogen. Er hat mich betrogen, Bohne. Er hat uns beide betrogen, als wären wir ihm nichts wert. Er sagt, er liebt mich immer noch. Ich weiss nicht, ich weiss nicht, ob ich das glauben soll. Er hat so viel gelogen in letzter Zeit. Ich weiss, dass er dich liebt, aber ich weiss nicht, wie er uns das antun konnte, Maus, ich weiss es einfach nicht.
Nein, sie wird das Steuer nicht herumreissen. Sie wird es überleben. Sie mag klein sein, und zart, und leicht zu unterschätzen – aber sie ist zäh. Sie ist ein „tough cookie“, haben ihre Freunde früher immer gesagt. Hab so vieles überstanden, dann bringst du mich nicht um. Du und die Grafikerin-Schlampe. Man hat ihr schon oft wehgetan. Allen voran ihre Adoptivmutter, als sie ihr mit 13 nach dem Tod ihres Vaters endlich sagte, sie sei adoptiert – und hinzufügte, sie habe dieses Opfer nur gebracht, weil Irinas Vater unbedingt Kinder haben wollte. Sie aber keine leiblichen bekommen konnten.
Wut brodelt in ihr, mischt sich mit dem Schmerz. Sie kämpft damit, versucht, die Oberhand zu gewinnen. Wut auf ihn, Wut auf die Frau, die es gewagt hat, ihn ihr wegzunehmen oder es zumindest versucht hat. Gleichzeitig kommen Selbstzweifel auf. War sie zu wenig für ihn da gewesen, hatte sie zu
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