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Sehnsüchtig (German Edition)

Sehnsüchtig (German Edition)

Titel: Sehnsüchtig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanne Woodtli
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viel genörgelt und ihn zu wenig geliebt? Ihm zu wenig oft den Rücken gestärkt? Was hätte sie denn noch tun sollen, ausser geduldig auf ihn zu warten und sich um Lilli zu kümmern. Sie hatte doch wirklich alles in ihrer Macht stehende getan, damit er sein Ding durchziehen konnte. Sie hatte ihm doch seinen Freiraum gelassen! Natürlich hatte sie ab und zu reklamiert. Natürlich hatten sie sich oft gestritten. Bestimmt war sie nicht mehr die gleiche anspruchslose Frau wie vor Lilli, aber es war jetzt auch anders. Sie hatten jetzt ein Kind, sie waren jetzt eine Familie. Zeit, erwachsen zu werden. War es deshalb gewesen? Zu viel Druck, zu viel spiessbürgerliches Familiendasein für den rebellischen Musiker? Was war es das gewesen, was ihn dazu gebracht hatte, eine andere Frau anzusehen, it ihr zu schlafen, sich in sie zu verlieben, auf irgendeine Art.
    Bilder suchen sie heim, prasseln auf sie ein, tun weh und quälen sie, lassen sich nicht vertreiben. Bilder, wie er die andere Frau küsst, sie anfasst, mit ihr all die Dinge tut, die zehn Jahre lang ihr vorbehalten waren, seine Hände auf einer anderen, fremden Haut. Zu wissen, wer es ist, hilft ihr nicht. So ist die Frau kein gesichtsloses Phantom, nein, sie weiss ganz genau, wie sie aussieht, sie kann sich den Ausdruck in Alys’ blauen Augen vorstellen, wenn er sie ansieht und küsst. Sie liebt ihn ja, sagt er. Es macht es nicht besser zu wissen, wie Alys aussieht, zu wissen, dass sie einen halben Kopf grösser ist als sie und noch keine Schwangerschaftsstreifen hat, wohl den kleineren Busen zwar. Es hilft nicht zu wissen, dass Alys nicht hübscher ist als sie, aber doch irgendwie schön, mit einem Gesicht, das man so schnell nicht vergisst wegen dem etwas breiten, aber sinnlichen Mund und den dunkelblauen Augen . Ist er darin ertrunken?
    Jetzt kommt das Selbstmitleid und schwemmt mehr Tränen in ihre Augen.
     
    *
     
    Er liegt auf seinem und Irinas Bett und wagt es nicht, sich zu bewegen. Lilli hat sich an seiner Seite zusammengerollt, eine Hand in sein Hemd verkrampft. Irgendwo neben ihr liegt ein halbleeres Fläschchen. Er hat den Verschluss wohl nicht gut genug zugedreht, eine kleine Milchlache tränkt Irinas Lieblingsbettwäsche, dunkelblau, Satin. Das ist ihm egal, denn Lilli schläft wieder. Endlich. Sie hatte sich kaum beruhigen lassen, alle Geheimrezepte hatten versagt: Die Flasche geben, sie durch die Wohnung tragen, singen – wobei er kaum hatte singen können, die Schuldgefühle und die Angst um Irina hatten ihm die Stimme genommen. Lilli brüllte und brüllte, sein Zustand erfasste wohl auch sie, sie weinte, wie er sie noch nie hatte weinen hören und er verlor fast den Verstand, Lilli im Arm, ausser sich, und immer wieder die roboterhafte Stimme in seinem Ohr, der Eigentümer dieser Nummer ist zur Zeit nicht erreichbar, bitte versuchen Sie es später noch einmal. Sie hat das Handy ausgeschaltet und die schlimmsten Fantasien spulen sich in seinem Kopf ab, der Porsche in einer Leitplanke, ein Wrack, zerknüllt, in Flammen. Dass es klingelt, mitten in der Nacht, und die Polizei vor seiner Tür steht, „Herr Wagner? Können wir reinkommen? Leider gab es einen Unfall, Ihre Lebenspartnerin ...“
    Dann piepst sein Handy. Endlich. Endlich! Sein Daumen auf dem Display zittert. Die Nachricht ist von Marlen.
    Sie ist bei mir. Ruf nicht an, sie will nicht mit dir reden. Du bist der grösste Idiot, den ich kenne! Wie konntest du nur!
    Erleichterung durchflutet ihn. Irina ist bei Marlen, wohlbehalten, so wohlbehalten, wie es in dieser Situation eben geht.
    Danke für die Nachricht, ich war hier am Durchdrehen ... Bitte sag ihr, sie soll nach Hause kommen!
    Sie will dich jetzt nicht sehen, das wirst du doch wohl begreifen! Wie geht es Lilli?
    Sie schläft wieder, bitte sag ihr das. Ich liebe sie, Sunshine, und es tut mir unendlich Leid!
    Ich bin nicht dein Sunshine! Ich kann dich nicht verstehen, selbst wenn ich es wollte. Du hattest alles und jetzt riskierst du, alles zu verlieren? Für was? Und falls du vorhast, das alles für diese andere wegzuschmeissen, ich werde dich dabei nicht unterstützen!
    Ich erwarte nicht, dass du es verstehst. Und ich kann es dir nicht erklären. Ich kann es nicht einmal mir selbst erklären.
    Darauf kommt keine Antwort mehr.
     
    *
     
    „Lilli geht es gut. Sie schläft.“ Die Frau auf ihrem Sofa nickt. Sie hat wenig Ähnlichkeit mit der üblichen Irina. Die Frau, die sonst Ruhe und Gelassenheit ausstrahlt und meistens lächelt.

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