Sehnsüchtig (German Edition)
Internet-Riese hat seinen Landesableger draussen in der Industriezone, beschäftigt Mitarbeiter aus allen Herren Ländern. Sie sind mittlerweile bei den englischen Büchern angekommen und Alys bleibt stehen. „Meine Mutter arbeitet auch in der Buchhaltung, ich verstehe nicht viel davon.“
„Ja, ich staple Zahlen. Findest du das unsexy?“ Sie grinst und erwidert nichts darauf. Er grinst zurück. „Und was machst du?“
„Ich bin selbständige Grafikerin.“
„Wow.“ Er scheint beeindruckt. Ihre Wangen brennen jetzt. Sie ist es sich nicht gewohnt, dass jemand sie beeindruckend findet. „Hier sind die englischen Bücher“, sagt sie rasch. „Ich hoffe, du findest, was du suchst.“
„Vielen Dank!“
„Gern geschehen. Bye, Alan.“ Sie lächelt ihn an und dreht sich auf dem Absatz um.
Sie kommt vier Schritte weit, dann hält seine Stimme sie auf: „Warte!“
Als sie sich umdreht, lächelt er wieder, ein wenig unsicher vielleicht. „Eigentlich war das mit den englischen Büchern eine Ausrede.“ Alys hebt eine Augenbraue. Ach, wirklich? Er zögert und schiebt sich den Riemen seiner abgewetzten Ledertasche auf der Schulter zurecht. „Du bist mir aufgefallen und ich wusste nicht recht, wie ich dich ansprechen sollte. Und das war das erste, was mir in den Sinn kam. Verzeih mir, wenn das ein bisschen plump war.“ Plötzlich verhaspelt sich der offenbar selbstsichere Mann mit dem sonnigen Lächeln ein wenig. Alan. Ein schöner Name.
Sie blickt ihn an und weiss nicht, was sie sagen soll. Er ist der erste Mann, der sie einfach so im Alltag anspricht, weil sie ihm aufgefallen ist. Mascha hätte jetzt eine schlagfertige Bemerkung oder einen neckischen Augenaufschlag parat, aber Alys’ Kopf ist leer. Er scheint Atem zu holen, sieht jetzt schüchtern aus. „Würdest du mit mir etwas trinken gehen?“ Sie zögert nicht lange. „Sicher, warum nicht?“ Jetzt strahlt er sie an und irgendwie wird ihr dabei warm ums Herz. „Wir können ins ‚Lila’ gehen. Das ist das beste Café der Stadt.“
„Super, das kenne ich noch nicht. Soll ich die tragen?“ Er greift nach ihrer Einkaufstüte voller neuer Bücher. Ein Gentleman. Wie rar. Männer mit guten Manieren mochte sie schon immer. Sie kannte noch einen Mann, der auch so war. Sie lächelt Alan an und ignoriert das Gesicht, das sie heimsucht.
*
So tritt Alan Branson in Alys’ Leben. Sie lässt ihn nur zögernd hinein. Aber er ist ein geduldiger Mann, der geduldigste, den sie je kennen gelernt hat. Fast zwei Monate lang treffen sie sich ganz unverbindlich. Sie zeigt ihm die Stadt, sie gehen ins Kino, Schlittschuh laufen und ins Museum, kosten sich durch die Getränkekarten ihrer Lieblingsbars. Sie treffen sich mit Mascha und Frederic, die mittlerweile fast neun Monate zusammen sind. Mascha macht Frederic ab und zu das Leben schwer, aber er erträgt es mit Grossmut. Mascha ist glücklich und Frederic sowieso. Und Mascha ist grosser Alan-Fan. „Er ist klasse. Jetzt mach schon“, sagt sie immer wieder. „Ich weiss“, sagt Alys und wartet ab.
In einer klirrendkalten Dezembernacht, als sie sich zum x-ten Mal vor ihrer Haustür von ihm verabschieden will, küsst er sie zum ersten Mal. Alys erstarrt. Er nutzt es, um sie enger an sich zu ziehen. Er küsst sie sanft, vergräbt eine Hand in ihrem Haar. Wärme breitet sich in ihrem Bauch aus, träge, zähflüssig wie Honig. Gleichzeitig sucht sie ein anderes Gefühl heim, eines, das sich nach Angst anfühlt. Angst vor Nähe? Sie erwidert den Kuss jetzt doch , aber er spürt wohl, dass sie zögert. Alan löst sich von ihr und im kalten Licht des Hauseingangs sieht sein Gesicht ein wenig gequält aus. „Was sind wir, Alys?“, will er wissen. „Sind wir Freunde?“ Sie zögert und er legt eine Hand an ihre Wange. „Ich weiss es nicht“, murmelt sie. Es fällt ihr schwer, ihn anzusehen. „Ich will nicht Freunde sein“, sagt er. „Und ich glaube, das weisst du auch.“
Sie nickt und fragt sich, ob er die Angst in ihren Augen sehen kann. „Jemand hat dein Herz gebrochen.“ Das klingt nach einer Feststellung, nicht nach einer Vermutung. „Er hat es zertrümmert“, sagt sie leise. Er versucht ein Lächeln. „Ich weiss, das ist mir schon seit längerem klar.“
„Du bist wunderbar, Alan. Aber ich brauche Zeit.“
„Ich gebe dir gerne Zeit. Aber es ist schwierig für mich, so zu tun, als wären wir Freunde. Und ganz ehrlich, das eben hat sich nicht freundschaftlich angefühlt.“ Sie muss ein
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