Sehnsüchtig (German Edition)
treiben. Frankreich, Belgien, Holland ist der Plan, und in Dänemark die Fähre nach Schweden nehmen. Und dann mit der Fähre nach England. Tony und Megan, meine Aupair-Familie aus London, haben mich schon zu sich lange eingeladen. Und ich möchte unbedingt noch nach Irland, wenn die Zeit reicht – und das Geld. Wenn ich zurückkomme, bin ich pleite. Aber was soll’s. Im Sommer ist die Auftragslage eh dünn. Wenn ich im September wieder zurückkomme, nehme ich wieder Aufträge an. Mit Eliot hab ich eine super Referenz auf der Homepage und sonst kann ich jederzeit wieder ins ‚Jupiter’ hinter die Bar.“
„Und du willst damit gehen?“ Mascha macht eine Geste, die wohl den Wagen umfassen soll. „Ja, nur ich und mein Auto. Ein Roadtrip.“ Mascha blickt sich im Auto um und sieht nicht überzeugt aus. „Ich wünsch dir viel Glück. Mit dem alten Ding kommst du bestimmt nur bis kurz hinter die französische Grenze. Alys grinst. „Er wurde eben tipptopp aufgefixt und ist frisch geprüft. Ich hab ihn meinem Papa gezeigt, er hat den Daumen nach oben gedreht. Er ist sowieso ganz begeistert von meiner Idee. Er hat mir extra eine neue Kamera für die Reise geschenkt. Lydia ist ein bisschen weniger angetan von meinen Plänen. Aber das wird schon klappen.“
*
Und das tut es auch. Alys’ neuer Liebling lässt sie nicht im Stich. Nur einmal irgendwo in den Tiefen der Normandie muss sie ihn überbrücken lassen, weil sie vergessen hat, das Licht auszumachen. Tapfer spult der Saab Kilometer für Kilometer ab und mit jedem fühlt sich Alys ein bisschen besser, ein bisschen weniger gefangen. Sie übernachtet in anonymen Motels, die alle gleich aussehen, und oft einfach auch mit Wolldecke und Kissen auf ihrer Rückbank. Sie besucht das René-Margritte-Museum in Brüssel, steht lange vor jedem der beunruhigenden und rätselhaften Bilder, die Eliot und sie zum Booklet inspiriert haben. In dieser Zeit gesteht sie sich zu, an ihn zu denken. Sie weiss, dass er auch einmal hier gewesen ist. Die erste Sitzung in seinem Atelier kommt ihr in den Sinn.
„René Margritte“, sagt er leise.
„Du magst ihn“, sagt sie. „Wie Johnny Cash.“
„Kannst du Gedanken lesen?“
Sie lacht. „Nein. Du hast ihn in einem Interview erwähnt, dass du in Belgien warst und das Museum besucht hast. Und dass dich seine Bilder beschäftigt haben.“
Alys fragt sich, auf welcher Bank im Museum er gesessen hat und vor welchem Bild er wohl am längsten verweilt ist. Ob er noch in der Klinik ist oder schon entlassen wurde? Ob Irina und er ihre Probleme gelöst haben? Ob sie jetzt heiraten werden, als Zeichen dafür, dass sie alle Schwierigkeiten gemeistert haben? Oder ob sie es jetzt erst recht lassen, weil sie es sachte angehen wollen?
Sie hört ständig Musik, während sie fährt. Das Autofahren wirkt fast therapeutisch. Alles ist so weit weg, ihr Land, ihre Stadt, er. Nach ein paar Wochen hört sie erstmals ‚No way out’ vom ersten bis zum letzten Lied. Versuchen, ob es geht. Erst tut ihr seine Stimme weh, aber dann lässt es sich aushalten.
Besonders gut gefällt es ihr im Norden. In Dänemark und Schweden. Verwundert blickt sie all den fast zu schönen Männern hinterher, woher kommen die alle und warum ist der Anteil so viel höher als zu Hause? Sie betrachtet die Wunderwesen wie jemand, der ein Gemälde studiert. Angetan, aber aus einer gewissen Distanz. Sie sind gross und blond und eigentlich viel schöner als er es war, klassisch schön halt, aber keiner davon lässt ihr Herz schneller schlagen. Keiner hat diese markanten Wangenknochen, die eigenwillig gebogene Nase. Einige schauen ihr nach, aber sie sprechen sie nicht an. Die nordische Zurückhaltung – oder vielleicht liegt es daran, dass sie ‚Lass mich sein’ und ‚Achtung, gebrochenes Herz!’ ausstrahlt.
Sie weiss nicht, dass sie in Stockholm eine Nacht ganz in der Nähe von Eliot und seiner Familie verbringt, dass sie ein Hotel nur zwei Strassen weiter gebucht haben, dass sie sich nach seiner Zeit in der Klinik aufgemacht haben, endlich die Polarlichter suchen zu gehen, wie sie es schon ewig tun wollten. Doch während Eliot, Irina und Lilli höher in den Norden fahren, besucht Alys das ‚Grafikens Hus’ in Mariefred und muss aufpassen, nicht zu viel Geld für Grafikerliteratur und all das klasse Design von jungen Berufskollegen auszugeben. Sie sammelt jede Menge Anregungen und Ideen, ihre Skizzenbücher füllen sich immer schneller.
Sie nimmt die
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