Sehnsüchtig (German Edition)
Moment fällt Alys der Ring an ihrer linken Hand auf. Er ähnelt dem, den Eliot trägt, nur weist er drei kleine Steine auf. „Ich bin sicher, du wirst etwas Tolles entwerfen“, sagt sie zu Alys. „Danke. Auf Wiedersehen“, sagt Alys freundlich. „Aber nimm dich in Acht, mein Zukünftiger ist ein furchtbarer Perfektionist ...“ Irina lacht und stupst Eliot in die Seite. „Ich werde es mir merken“, verspricht Alys. Zukünftiger? Also verlobt, darum die Ringe ...
Irina wendet sich Eliot zu. „Tschüss“, sagt sie, leiser. Sie stellt sich auf die Zehenspitzen, um ihn zu küssen. Er ist mindestens anderthalb Köpfe grösser als sie. Er zieht sie an sich und küsst sie zurück. Alys lässt den Blick auf ihren Schreibblock fallen und schreibt zusammenhangslos einige Stichworte auf. Als die Tür in Schloss fällt, blickt sie wieder auf.
Eliot setzt sich wieder. „Also, weiter im Text ...“, sagt er.
*
„Also, dann mailst du mir eine Offerte?“
„Das mache ich sehr gerne. Du bekommst sie morgen.“ Sie steckt ihren Notizblock und die Liste mit den Songtiteln, die Eliot ihr gegeben hat, in ihre Handtasche. Das wird wieder eine Nacht mit wenig Schlaf, die Offerte für das ganze Booklet zu berechnen wird kompliziert. Wie viele Sitzungen wird es brauchen? Wie viele Arbeitsstunden? Wie viele Änderungen wird er haben wollen? Aber die Sitzung ist gut gelaufen, sie hat ein gutes Gefühl. Und sie fühlt vor allem diesen Ehrgeiz. Ich will diesen Auftrag. Unbedingt.
Sie steht auf und blickt sich noch einmal im Atelier um. Es muss früher eine Wohnung gewesen sein, die einer der besser betuchten Familien in der Stadt gehört haben muss. Der Raum ist sicher drei, vier Meter hoch und mit Stuck an der Decke. Die Holzdielen sind verschrammt und knarren unter jedem Schritt, haben aber diesen altmodischen Charme. Die beiden Doppelflügel-Fenster sind riesig, die Fenstergriffe sind kleine Kunstwerke, sehen aber aus, als wäre es schwierig, sie zu öffnen. Überall stehen Instrumente, Bücher stapeln sich und die Wände sind voll mit Konzertpostern, Kunstdrucken und Werbeplakaten aus den 50ern und 60ern. Ein kreatives Chaos mit Retro-Charme.
Alys wirft einen Blick zum Fenster hinaus. Der Himmel hat sich verdunkelt, es regnet ziemlich heftig. Tropfen platschen in den Schneematsch und pflastern die Strasse dunkel. Brr. Bis zur Bushaltestelle wird sie schon komplett durchweicht sein. Wie meistens hat sie vergessen, einen Schirm mitzunehmen.
„Was für ein Wetter“, sagt Eliot hinter ihr, als hätte er ihre Gedanken gelesen. „Furchtbar“, sagt sie resigniert. Sie hasst den Winter, den Regen, den Nebel, den Schnee und die Kälte. Es ist erst Ende November. Die Aussicht, dass es noch drei Monate so weitergeht und nur noch kälter und hässlicher wird, ist deprimierend. „Bist du mit dem Auto gekommen?“ Sie dreht sich zu ihm um. „Nein, mit dem Bus. Ich habe keines.“
„Wo musst du hin? Hast du ein Büro?“
„Nein, ich arbeite von zuhause aus.“ Sie nennt den Namen des Quartiers und sieht seinem Gesicht an, dass er weiss, wo das ist. Er zieht sein Handy aus der Jeanstasche, eine Armbanduhr scheint er nicht zu besitzen. Wirft einen Blick auf das Display. „Wenn du willst, kann ich dich fahren. Das Studio ist in die gleiche Richtung ...“
„Wenn es dir keine Umstände macht, sehr gerne“, sagt sie, erleichtert, nicht eine Viertelstunde auf den Bus warten zu müssen. Sie gesteht sich ein, dass sie sich freut, noch ein wenig Zeit mit ihm zu verbringen. Er ist ein spannender Mensch, in dessen Gegenwart man sich schnell wohl fühlt. Die Aufregung und die Ehrfurcht vom Anfang des Treffens sind verschwunden. Sie hat das Gefühl, ihn schon ewig zu kennen. Ihre Beziehung fühlt sich vertraut an, irgendwie, was eigentlich Unsinn ist, sie kennen sich ja überhaupt nicht.
„Es macht keine Umstände“, versichert er und wirft sich seinen Mantel über den Arm. „Wir müssen ein paar Schritte gehen, ich hab einen Parkplatz in einer Tiefgarage in der Nähe gemietet.“
„Kein Problem“, sagt sie und nimmt ihren Mantel vom wunderbar altmodischen Kleiderständer neben der Tür. Mit zwei Schritten ist er bei ihr und hilft ihr hinein als wäre es ganz selbstverständlich. Ein Gentleman. Wie rar. „Danke“. Er lächelt nur, sie fühlt ihre Wangen warm werden, und wickelt sich seinen schwarzen Schal um den Hals. Seine Schlüssel klimpern fröhlich als er die Tür abschliesst.
Es sind tatsächlich nur wenige
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