Sehnsüchtig (German Edition)
Ein Paar küsst sich, aber beide sind verschleiert, von den Gesichtern ist nichts zu erkennen. Die Bilder sind rätselhaft und beunruhigend.
„René Margritte“, sagt er leise.
„Du magst ihn. Wie Johnny Cash.“
Er blickt auf, diesmal wirklich erstaunt. Nirgendwo in seinem Atelier hängt ein Druck von René Margritte. „Kannst du Gedanken lesen?“ Sie lacht. „Nein. Du hast in einem Interview erwähnt, dass du in Belgien warst und das Museum besucht hast. Und dass dich seine Bilder beschäftigt haben.“
Stimmt. Er erinnert sich an das Interview. Es ist lange her. Das sagt er jetzt auch: „Das ist ein ziemlich altes Interview, für dieses Musik-Fanzine, das es mittlerweile nicht mehr gibt. Es erstaunt mich, dass du das gelesen hast.“
„Ich habe es im Netz gefunden als ich mich auf die Sitzung vorbereitet habe ...“ Einen Augenblick lang sieht sie unsicher aus aber vielleicht täuscht er sich auch. Der Ausdruck auf dem Gesicht ist gleich wieder weg.
Er lächelt, jetzt irgendwie geschmeichelt. „Du scheinst dich ja wirklich mit mir auseinander gesetzt zu haben.“
„Das tue ich immer“, sagt sie ziemlich schnell.
*
Er nimmt einen Schluck Kaffee, dann verschränkt er die Finger ineinander. Wieder fällt ihr der Ring an der linken Hand auf. Er beugt sich etwas in ihre Richtung. Sein Blick erforscht ihr Gesicht. Ein Duft steigt ihr in die Nase, angenehm, Rasierwasser? Sein Blick hält den ihrigen fest und sie sieht grüne Sprenkel im Braun seiner Augen, wie damals im ‘Mon Amour’. Plötzlich wird ihr Atem knapp. Da ist es wieder, das Gefühl von damals am Konzert.
„Ich mag Johnny Cash und René Margritte – was ist dir sonst noch aufgefallen?“, fragt er und beugt sich noch ein wenig vor. Alys versucht, sich zu konzentrieren, tut so, als nehme sie sich Zeit, um eine Antwort zu finden. Diese Zeit braucht sie wirklich, ihr Kopf ist plötzlich ziemlich leer.
„Du machst dir sehr viele Gedanken ...“, sagt sie langsam. „Über deine eigene Musik, über die Musik von anderen, über die Welt als Ganzes. Du liest gerne, auf jeden Fall wirkt es so in deinen Interviews. Du magst Bücher, sonst wärst du wahrscheinlich nicht Bibliothekar geworden. Du passt dich nicht gerne an und du wirst nicht gerne in eine Schublade gesteckt. Du bist gerne anders, Durchschnitt langweilt dich. Du bist leidenschaftlich, was deine Musik betrifft. Du redest leidenschaftlich gerne über Musik ...“ Sie zögert. „Viel lieber als über dein Privatleben, darüber redest du nicht gerne ...“ Sie bricht ab.
Einen Moment lang blickt er sie unverwandt an, ohne dass sie sehen kann, was er denkt. Dann lacht er leise auf, lehnt sich zurück und der Moment ist vorüber. „Du bist gut“, sagt er. „Das stimmt alles.“
In diesem Moment klopft es an der Tür. Er steht auf. „Sorry, das ist mein Privatleben. Einen Augenblick.“
„Es ist offen“, ruft er. Die Türklinke wird heruntergedrückt, dann geht die Tür einen Spalt weit auf. „Hey“, sagt er. Seine Stimme klingt plötzlich weich. „Komm rein.“
„Du bist mitten in einer Sitzung“, sagt eine Stimme, die Frau zu der Stimme kann Alys nicht sehen, die Tür versperrt ihr die Sicht. „Das macht nichts, ich hab schon einen Moment Zeit.“
„OK“, hört sie die Frau sagen, hell und wohlklingend. Dann öffnet Eliot die Tür ganz und sie kommt ins Atelier. „Hallo Darling“, sagt sie, stellt sich auf die Zehenspitzen und küsst ihn. Der Kuss ist kurz, aber vertraut. Dann entdeckt sie Alys.
„Das ist meine Freundin, Irina Agren“, sagt Eliot.
„Hallo“, erwidert Alys und steht auf. Das ist also die Frau im Leben von Eliot Wagner. Ganz anders als in ihrer Vorstellung. Sie hatte sich eine Frau wie ein Model ausgemalt, gross, lange dunkle oder rote Locken vielleicht, wie die Bardame im ‚Mon Amour’. Eine Frau wie aus einem Editorial der ‚Vogue’, beängstigend schön und etwas lasziv.
Irina Agren ist nichts davon. Sie ist kleiner als Alys, zwischen 1.60 und 1.65 etwa, zierlich und überraschend normal. Schwarzer Mantel, kurzes blaues Kleid, graue Strümpfe und nietenbesetzte Stiefel ohne Absatz. Lässig und stylish. Ihr Haar ist zu einem kinnlangen Bob geschnitten und eine Mischung zwischen Rot und Blond. Erdbeerblond, würde es in einem kitschigen Roman heissen. Eine seltene Haarfarbe. Niedliches Gesicht, hat etwas von einer Puppe, blaue Augen, helle Haut. Sie ist wohl nur etwa ein, zwei Jahre älter als Alys.
„Hallo.“ Irina Agren
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