Sehnsüchtig (German Edition)
Kind auf dem Arm, fast noch ein Baby, es blickt direkt in die Kamera und strahlt wie nur Kinder strahlen können. Lilli. Was für ein herziges Kind. Grosse braune Augen und eine Menge dunkles Haar, beides hat sie ganz offensichtlich von ihrem Vater. Die Form der Brauen und die Nase könnte sie von Irina haben, so genau kann man das noch nicht sagen. Alys betrachtet dieses Bild des Glücks mit einem seltsamen Ziehen in der Brust. Dann kommt Irina ins Zimmer und sie nimmt ihren Blick hastig vom Bildschirm. Mit einem Lächeln reicht Irina ihr eine rote Tasse mit weissen Punkten. Der Geruch nach Kaffee findet Alys’ und das komische Gefühl verfliegt. Sie ist wirklich sehr sympathisch.
„Vielen Dank. Das ist sicher Lilli ...“ Alys deutet auf den Desktophintergrund. Irinas Miene wird weich. „Ja, das ist Lilli.“
„Sie ist bezaubernd“, sagt Alys und nimmt einen Schluck Kaffee. Das ist sie wirklich. „Meistens.“ Irina grinst. „Sie ist lieb und ziemlich unkompliziert. Und ein ziemlich ernstes Persönchen. Eliot sagt, sie ist eine alte Seele ...“ Sie lacht. Hell und unbeschwert.
„Sie sieht ihm sehr ähnlich ...“
„Ja. Sie hat nicht viel von mir. Optisch zumindest.“
„Wo sind sie eigentlich?“, getraut sich Alys zu fragen. Es ist still im Haus, sie scheinen alleine zu sein.
„Lilli ist bei Celia ...“ Irina umfasst ihre Tasse mit beiden Händen, wie ein Kind, das seine Hände wärmen will. „Das ist meine Schwiegermutter ...“ Sie nimmt einen Schluck Kaffee. „... in spe“, fügt sie mit einem Lächeln in den Mundwinkeln hinzu. Alys Blick fällt auf den Ring an Irinas linker Hand; zarte Finger; die Nägel sind kurz geschnitten und in einem dunklen Violett lackiert. Der Ring ist schlicht und silbern, drei kleine Steinchen glimmen darin. Der Verlobungsring . Alys nimmt rasch ihren Blick weg bevor Irina ihn bemerkt.
„Und Eliot ist im Studio, wie meistens zurzeit.“ Sie klingt immer noch heiter und irgendwie beiläufig, aber eine Weile hat es so ausgesehen, als wäre ein Schatten über ihr Gesicht gehuscht. Dann lächelt sie wieder und Alys fragt sich, ob sie sich das nur eingebildet hat.
„Bald sind sie wohl fertig ...“
Irina blickt zum Fenster hinaus. „Noch etwa zwei Wochen, meint er. Meistens geht es länger. Eliot ist ein Perfektionist, aber das hast du ja schon bemerkt ...“ Ihr Blick wandert wieder zurück zu Alys. Alys lächelt unwillkürlich. „Ja, das ist er.“
„Ihr scheint aber gut zusammenzuarbeiten ...“
„Ich glaube schon. Mir macht es Spass.“
„Ihm auch. Er erzählt oft davon. Er ist ganz begeistert von dir ...“ Alys fühlt ihre Wangen warm werden. Irina schaut sie unverwandt an, ihr Blick ist immer noch offen und freundlich. Was für eine hübsche Frau, denkt Alys unwillkürlich. Und lieb.
„Mehr von meinen Qualitäten als Grafikerin als von meinen Modelqualitäten, nach dem Fotoshooting zumindest, befürchte ich“, sagt sie in leichtem Tonfall. „Der Gedanke an das Shooting überfordert mich ein wenig“, gibt sie dann zu. Sie weiss nicht, warum sie so offen mit Irina ist. Vielleicht weil Eliots Verlobte eine so angenehme Aura hat, weil man sich in ihrer Anwesenheit wohl fühlt ...
„Das muss es nicht“, sagt Irina aufmunternd. „Du wirst super aussehen. Lass das mal meine Sorge sein ...“
„Mascha hat gesagt, ich würde wie eine Million Dollar aussehen, wenn du mit mir fertig bist. Mascha Sommer, sie ist meine beste Freundin. Du kennst sie von einem Werbedreh, glaube ich ...“ Irina legt den Kopf ein wenig schräg. Erkenntnis leuchtet in den blauen Augen auf. „Mascha, ja, natürlich ... Sie ist toll. Grüss sie von mir.“
„Das mach ich.“
Irina wirft einen Blick auf ihre Uhr, eine alte Casio. Sehr retro. Wie die Wohnungseinrichtung. Wie Eliots Auto. „Wir sollten los. Lass die Tasse nur stehen. Ich hole meine Jacke und meine Tasche, dann können wir gehen ...“
Kurze Zeit später kommt sie zurück, nach Chanel N°5 riechend, in einer kurzen nietenbesetzten Lederjacke, die bei Alys einen akuten Schub Neid auslöst; die Füsse stecken in violetten Stiefeletten, die sie entweder aus einem Secondhand-Shop oder von einem Flohmarkt hat. Auf jeden Fall sind sie Rock’n’Roll pur.
Irinas Auto steht eine Strasse weiter in der blauen Parkzone. „Der Platz in der Garage ist Eliots Auto vorbehalten“, sagt sie und drückt auf den Türöffnungsknopf am Autoschlüssel. Ein Auto blinkt und piepst gehorsam. Es ist ein schwarzer Peugeot
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