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Sehnsüchtig (German Edition)

Sehnsüchtig (German Edition)

Titel: Sehnsüchtig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanne Woodtli
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sie auf die Welt kam, und sie hat es unverkennbar von ihm.
    Die Augen waren erst blau gewesen, wie bei allen Babys, das hatte er vorher nicht gewusst. Ehrlich gesagt, wusste er überhaupt nicht viel über Babys. Aber schon damals schien das tiefe Blau nur eine Schicht zu sein, hinter der man bereits eine andere Farbe erkennen konnte. Und tatsächlich, bald darauf hatten sie das gleiche Braun angenommen wie seine eigenen. Er bläst ihr einen Kuss zu, der richtige muss bis zum Morgen warten. Die letzten paar Nächte war sie unleidig gewesen, weil sie wieder zahnt, da ist ihr und Irina und ihm der Schlaf jetzt zu gönnen.
    Der Himmel weiss, dass er Schlaf nötig hat. Die dunklen Augenringe im Gesicht des Mannes, der ihm am Morgen aus dem Spiegel entgegengähnt, sind langsam nicht mehr schön, zumindest findet er das. Vielleicht sollte ich es doch einmal mit dieser Creme von ‘Nivea for Men’ versuchen. Er grinst bei dem Gedanken. Kürzlich stand er im Supermarkt hinter einem schlaksigen Jüngling Anfang 20 in der Schlange, der sich das ganze Sortiment gekauft hatte. Auf dem Weg zum Auto hatte er den Kopf geschüttelt. Wie kann Mann nur ... Er ist da pragmatisch wie sein eigener Vater. Kaltes Wasser, Rasierschaum und allenfalls etwas klassische Nivea-Creme reichen völlig. Ausser sein Parfüm, aber das vor allem weil Irina den Duft so liebt.
    Er lässt die Tür zum Kinderzimmer einen Spalt weit offen falls Lilli aufwachen sollte. Im Wohnzimmer läuft immer noch ‚Half of my heart’. Eliot runzelt die Stirn. Sollte der Song nicht längst zu Ende sein? Ein genauerer Blick auf die Anlage verrät ihm, dass sie das Lied auf ‚Wiederholen’ hat laufen lassen.
    Half of my heart’s got a grip on the situation, half of my heart takes time, can’t keep loving you with half of my heart, can’t stop loving you. Kein besonders optimistischer Text. Aber Irina liebt melancholischen Poprock. Manchmal lacht er sie für diese Vorliebe aus. Er selbst mag es härter. Er erinnert sich an einen Schlagabtausch vor einiger Zeit: „Du hörst doch nur John Mayer, weil er so schön ist“, hatte er zum Spass gesagt. Sie streckte die Nase in die Luft und tat gespielt empört. Das kann sie ganz hinreissend. Nicht, dass er als Mann sehr viel von der Schönheit anderer Männer versteht, aber dass Mayer ein hübsches Gesicht hat, lässt sich wohl kaum abstreiten. „Oder vielleicht sind es die vielen Tattoos, die dir gefallen“, triezte er sie weiter. „Kann schon sein“, gab sie zurück, „du hast ja schliesslich keins.“ Er grinste. „Stimmt, dieses Rockstar-Klischee erfülle ich nicht ...“
    Er macht die Stereoanlage aus. Nach einem langen Tag im Studio sehnt er sich nach Stille.
    Irina schläft immer noch. Ihre Körperwärme scheint auf ihn abzustrahlen, ohne dass er sie berührt. Er zieht die Decke ein wenig weg, dann hält er überrascht in seinem Tun inne.
    Sie trägt diesen tollen Morgenrock, den er ihr damals in London gekauft hatte, weil die blaue Seide so gut zu ihren Augen passt. Der Mantel klafft auf und lässt ihre Beine von den Knien an frei. Etwas schimmert im weichen Licht der Wohnzimmerlampe. Er legt eine Hand auf ihren Unterschenkel. Sie trägt Strümpfe. Erst jetzt fällt ihm auf, dass sie ihre goldfarbenen Pumps trägt, die mit dem verboten hohen Absatz und dem zarten Riemen um die ebensolchen Fesseln.
    Dann fallen ihm die beiden Gläser auf dem Beistelltisch auf und die Flasche Champagner. Sie hatte offensichtlich etwas vor mit ihm heute Abend. Und ist beim Warten eingeschlafen. Es wurde wieder einmal später als er eigentlich vorhatte. Er verdrängt einen Anflug von schlechtem Gewissen um sich mit der äusserst interessanten Frage zu beschäftigen, wo die Strümpfe wohl enden. Er legt die Hand auf ihr Knie und lässt sie weiter nach oben gleiten. Das Material des Strumpfs knistert verlockend unter seiner Berührung. Ihre Haut darunter ist warm. Er weiss genau, wie weich sie ist, und dieses Wissen lässt seinen Atem ein wenig schneller gehen. Auch nach fast zehn Jahren und einem Kind fasziniert sie ihn immer noch. Sie hat immer noch denselben Effekt auf ihn. Natürlich ist der Sex auch bei ihnen etwas weniger aufregend, etwas weniger leidenschaftlicher geworden. Er ist vielleicht anders geworden, vertrauter, aber unverändert gut geblieben, findet er. Sie sind einfach schon sehr lange zusammen im Vergleich zu anderen Paaren in ihrem Alter. Langweilig wird es ihnen im Bett nicht. Und er kann sich im Gegensatz zu

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