Sehnsüchtig (German Edition)
scheint ihr viel länger her zu sein. Sie beisst auf ihren Bleistift. Lass es.
„Super“, sagt er. Langsam klingt er etwas ausgeglichener. Etwas mehr nach dem üblichen Eliot, sie mag den üblichen Eliot lieber ... „Welches Datum ist heute?“, will er wissen. Sie kann Verkehrslärm hören im Hintergrund, er steht irgendwo draussen.
„Der 16. Ein Freitag“.
„Stimmt“, sagt er nach einer kleinen Pause. „Ich scheine im Moment völlig den Überblick über Wochentage und Daten verloren zu haben ...“ Es klingt als würde er lächeln als er das sagt, nur ein wenig, aber immerhin ...
„Dann haben wir nächste Woche vor den Festtagen noch Zeit, die Entwürfe anzusehen und uns zu entscheiden. Hör zu, ich ruf dich an, wenn ich mir einen Überblick darüber verschafft habe, was nächste Woche alles ansteht, und dann machen wir was aus. Ich melde mich entweder heute noch oder dann irgendwann morgen, OK?“
„Das klingt gut. Dann wünsche ich dir einen – entspannten, erfolgreichen Tag.“
Ihr Zögern vor dem Wort „entspannt“ bringt ihn zum Lachen. Ein nur kleines Lachen, es klingt als würde er direkt an ihrem Ohr lachen. Der übliche Eliot ist wieder am anderen Ende der Leitung – und das macht sie froh.
„Danke, das kann ich brauchen. Das wünsche ich dir auch.“
„Auf Wiederhören also ...“
„Ja, Bye ...“ Sie will auflegen, da findet seine Stimme ihr Ohr noch einmal. „Alys?“
„Ja?“ Sie drückt das Handy stärker ans Ohr. Ihre Hand, gerade noch damit beschäftigt, ihren Block weiter vollzukritzeln, stockt inmitten einer weiteren Spirale. „Es tut gut, eine freundliche Stimme zu hören ...“ Bevor sie etwas erwidern kann, hat er aufgelegt. Tut, tut, sagt das Handy an ihrem Ohr. Alys presst sich die Hand gegen die Brust, dort wo sich Wärme ausbreitet jetzt, wo ihr Herz schneller schlägt.
*
„Fuck! Mir ist eine Saite gerissen“. Max’ Lachen schallt durch den Kopfhörer, herzhaft und etwas heiser. Ein Hustenanfall folgt. Max, der Kettenraucher . „Ist das nicht schon die zweite heute?“ Eliot blickt auf und sieht das feixende Gesicht des Studioinhabers durch die Glasscheibe, die den Aufnahmeraum vom Regieraum trennt. Max sitzt dort am Mischpult mit den unzähligen Tasten und Reglern. Eliot ist sich ziemlich sicher, dass Max sie auch im Schlaf bedienen könnte. Eliot atmet aus, es klingt resigniert. „Ja, es ist die zweite heute.“
„Du bist ganz schön aggressiv drauf. Aber es klingt super.“
„Ich brauche eine Pause, ich komm mal zu dir rüber ...“ Eliot streift sich die Kopfhörer ab und stellt die Gitarre in den Ständer.
Im Aufnahmeraum wabert der Zigarettenrauch dicht unter der Decke. Eliot schliesst die Tür hinter sich, damit der Rest des Studios sich nicht mit Rauch füllt und zündet sich ebenfalls eine Zigarette an. Max hört sich die letzte Aufnahme an, schiebt hier etwas, regelt da etwas, auch nach vielen Jahren der Zusammenarbeit ist es immer noch faszinierend, ihm dabei zuzusehen.
„Wir sind gut vorangekommen heute“, sagt Eliot.
Der Tonmeister dreht sich mit Schwung auf seinem Bürostuhl. „Yep“, sagt er. Er ist kein Mann grosser Worte, macht aber immer dann eine trockene Bemerkung oder einen dreckigen Witz, wenn man am wenigsten damit rechnet. Max ist gross und mager und sein Gesicht kam Eliot schon alt vor, als er vor über zehn Jahren sein erstes Album bei Max aufgenommen hatte. Um das hagere Gesicht fällt ein Vorhang aus grauschwarzen Strähnen, mehr Grau als Schwarz mittlerweile, der Vorhang endet auf den immer etwas ungesund gekrümmten Schultern. Max blickt auf seine Uhr, das Armband schlenkert an seinem Handgelenk. „Fast zwanzig Uhr“, stellt er fest. „Willst du aufhören?“ Eliot runzelt die Stirn und überlegt hin und her. Max grinst. „Ich denke, niemand wird dich für faul halten wenn du für einmal ein wenig früher hier rauskommst. Und deine Süsse wird sich freuen.“
Eliot drückt die Zigarette im Aschenbecher aus. „Eines Tages werde ich Irina verraten, dass du sie so nennst ...“ Max grinst. „Sie macht dem Namen ja auch alle Ehre. Ich habe nie so etwas wie sie gefunden.“ Eliot lächelt den Tonmeister abwesend an. „Sag ihr einen Gruss von mir“, sagt Max jetzt. „Das mach ich. Dann komm ich morgen wieder.“
„Ja“, sagt Max und dreht sich wieder zum Bildschirm. Eliot weiss, dass er hiermit entlassen ist. Der Meister widmet sich wieder seiner Arbeit. Manchmal scheint es ihm, als wären Max und
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